Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Macht der Toten

Macht der Toten

Titel: Macht der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
Vom Netzwerk:
sorelle«, begann er sanft und entschieden. »Brüder und Schwestern.« Seine Gesten waren dabei die gleichen wie die eines Lehrers, der seinen Schülern auftrug, brav und friedlich die Ferien zu genießen.
    Danach bat er die Versammelten zu sich. Mit jedem wechselte er ein paar Worte. Einmal hielt er inne. Sein Blick flog über die Köpfe der Gläubigen. Weiter hinten, direkt am Eingang zur Halle, machte er eine Gestalt aus, die den heutigen Vormittag eigentlich an seiner Seite hätte verbringen sollen. Vielleicht ging es dem Bischof nicht gut. Tatsächlich konnte der Papst selbst aus der Entfernung die Blässe erkennen, die er zur Schau trug. Auch sein Haar, sonst gepflegt und gescheitelt, hing ihm wirr vom Kopf.
    Der Papst nickte ihm lächelnd zu, bevor er sich wieder einer Gruppe Jugendlicher widmete.
    Bischof de Gussa konnte nicht hören, worüber sie sprachen. Aber es waren ohnehin immer die gleichen Gespräche. Leise wispernd, ehrfürchtig, hingerissen. Über das Leben. Den Glauben. Liebe. Den Tod.
    De Gussa verspürte ein schmerzhaftes Ziehen in der Bauchgegend. Der Tod! Er hatte versucht, dessen Geheimnis zu erkunden – und zu bewahren. Jetzt hatte seine eigene letzte Stunde geschlagen. Wie Boris Garnier schon richtig gesagt hatte: Entweder man ist im Offizium oder nicht. So war die Regel, daran ließ sich nichts ändern.
    De Gussa bekreuzigte sich, als er die Audienzhalle verließ. Er war froh, dass er auf dem Weg zurück in seine Gemächer noch einen Abstecher hierher unternommen hatte. Jetzt fühlte er sich besser.
    Draußen stürzte sich der Winter auf ihn. Die Soutane schützte nur wenig vor der Eiseskälte. Eine Gänsehaut legte sich über seinen Körper. Er legte einen Schritt zu, doch nach wenigen Metern verlangsamte er wieder. Er hatte keinen Grund, sich zu beeilen.
    Seine Lippen waren gefroren, als er schließlich den Gouverneurspalast erreichte. Er betrat das Foyer und betrachtete die Marmorsäulen, die die prachtvoll verzierte Decke etliche Meter über seinem Kopf stützten. Andächtig lauschte er der Stille. Als sich Schritte näherten, setzte er sich in Bewegung, stieg Stufen empor, folgte den Fluren, nicht ohne gelegentlich vor der einen oder anderen Pforte stehen zu bleiben. Es gab so viel Sehenswertes in diesem Gebäude, so viel Geheimnisvolles in der ganzen Vatikan-Stadt, das den Blicken der Touristen verborgen blieb.
    Er erreichte seine Räumlichkeiten. Er öffnete das Portal, durchschritt das Vorzimmer und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. Die Lampe, die er anknipste, enthüllte das Chaos. Es war unverändert wie am Morgen. Es würde so bleiben.
    Das Buch, das seit einer Woche aufgeschlagen unter einem Stapel von Unterlagen lag, erregte seine Aufmerksamkeit. Bis heute hatte er das Ende nicht erreicht. Auch daran würde sich nichts ändern.
    Er löste sein Zingulum, den engen Gürtel, der sich um seinen Bauch schlang. Erleichtert dehnte sich sein Bauch aus. Nur ein wenig. Aber de Gussa wusste, dass er zugenommen hatte.
    Er zog sich den Ring vom Finger. Der purpurne Stein funkelte im Licht seiner Schreibtischleuchte. Er streichelte ihn verträumt. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er ihn das erste Mal über seinen Finger gestreift hatte. Es war ein erhebendes Gefühl gewesen. So erhebend wie an jenem Tag, als er ins Offizium eingeführt worden war.
    Er öffnete die Schublade. Dort lag schon seit Jahren eine kleine Schachtel. Weshalb er sie aufbewahrte, konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen. Tief in seinem Unterbewusstsein hatte er wohl schon immer gewusst, dass dieser Tag kommen würde.
    Er sammelte ein bisschen Speichel, schob zwei der Tabletten über die Lippen und schluckte. Er lehnte sich in dem Sessel zurück und schloss die Augen. Endlich konnte er schlafen. Nur noch schlafen.
    Als sein Handy klingelte, bekam er es nicht mehr mit.
     
     
    Irgendwo
     
    Die Bewegung des anderen war so abrupt, dass Philip unwillkürlich zurückzuckte. Auch Kahlscheuer wollte etwas gegen die neuerliche Verzögerung einwenden, doch der andere war schneller. Er packte Philip an den Fingern, hielt sie fest umschlossen und ließ keinen Zweifel daran, dass er sie nicht eher freigeben würde, bis er dazu bereit sei.
    Nichts passierte.
    Was hatte Philip erwartet? Dass die innige Berührung mit seinem anderen Ich den Himmel öffnete und Blitze auf die Erde niederschleuderte? Dass Raum und Zeit endgültig auseinanderbrachen und augenblicklich das Armageddon einläuteten?
    Also stand er Hand in

Weitere Kostenlose Bücher