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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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insbesondere Musiker, die vor dem 7. Lebensjahr mit dem Musiktraining begonnen haben, über einen größeren vorderen Balken verfügen, könnte damit zusammenhängen, dass in diesem Alter das Kindergehirn noch ungeheuer plastisch (also formbar) ist und insbesondere dieses «Kabelsystem» noch reift. Diese Reifung umfasst neben dem Aufbau von neuen «Kabeln» insbesondere auch die «Ummantelung» der «Kabel». Um den Kern lagern sich isolierende Fettschichten an, die zur Folge haben, dass die Leitungsgeschwindigkeit mit zunehmender Dicke der Ummantelung schneller wird. Wahrscheinlich wird durch das intensive Musizieren dieses Wachstum besonders gefördert. Hierbei muss man bedenken, dass die anatomische Reifung nicht nur ein passiver Prozess, sondern von der Stimulation und damit vom Gebrauch der sich verändernden Nervenzellen und ihrer Verbindungen abhängig ist.

    Abbildung 61: Das Corpus callosum. Links ist ein Mittsaggitalschnitt durch das Gehirn dargestellt. In der Mitte erkennt man die Fläche des Corpus callosum (CC). Sie ist in einen vorderen und hinteren Teil unterteilt. Der vordere Teil ist bei Musikern, die vor dem 7. Lebensjahr mit dem Musiktraining begonnen haben, deutlich größer. Rechts sind die mittleren CC-Flächen dargestellt (nach Schlaug et al., 1995).
    Mittlerweile sind weitere Studien publiziert worden, die anatomische Auffälligkeiten in den Gehirnen von Musikern mit der Anzahl der Trainingsstunden in Verbindung setzen. Eine sehr aussagekräftige Arbeit wurde kürzlich in der angesehenen Zeitschrift
Nature Neuroscience
veröffentlicht (Bengtsson et al., 2005). Die schwedischen Wissenschaftler haben mit einer neuen Methode (
Diffusion Tensor Imaging
: DTI) das «Kabelsystem» der Musikergehirne genauer untersucht. Hierbei haben sie sich nicht nur für den Balken, sondern auch für andere «Kabelsysteme» interessiert. Mit der DTI-Methode wird eine wichtige Eigenschaft dieses Kabelsystems gemessen, die in der Fachsprache als
Fractional Anisotropy
(FA) bezeichnet wird. Dieser Kennwert repräsentiert die Ausprägung der Verbindung. Je größer der FA-Kennwert, destomehr «Kabel» sind an der entsprechenden Stelle zusammengefasst oder desto dicker sind die «Kabel». Die Anzahl oder Dicke der «Kabel» bestimmt im Wesentlichen die Übertragungsmenge und -geschwindigkeit der Informationen. Bei acht professionellen Pianisten haben die Kollegen im gesamten Gehirn diesen Kennwert erfasst. Außerdem haben sie die Musiker innerhalb eines Jahres zweimal einem intensiven biografischen Interview unterzogen und sie unter anderem nach ihren Übungsgewohnheiten gefragt. Im Rahmen dieser Interviews haben sie die Musiker gefragt, wie viele Stunden sie im Alter zwischen fünf und elf Jahren, zwischen 12 und 16 Jahren und mit über 17 Jahren für das Klavier-Üben aufgewendet hatten. Diese geschätzten Übungszeiten haben sie dann mit den gemessenen anatomischen Kennwerten statistisch in Beziehung gesetzt und so bemerkenswerte Zusammenhänge herausgearbeitet. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Anzahl der Übungsstunden, die vor dem 11. Lebensjahr aufgewendet wurden, mit der Ausprägung des FA-Wertes in vielen Hirngebieten zusammenhing. Dieser Zusammenhang ist linear: Je mehr geübt worden war, desto größer war der FA-Wert. Man könnte dies etwas salopp dahingehend interpretieren, dass der anatomische Ausbau der «Verkabelung» von der Intensität des Übens abhängt. Je mehr geübt wird, desto besser sind die «Kabelsysteme» ausgebaut. Wenn die geschätzten Übungsdauern, die im Alter zwischen 12 und 16 Jahren aufgewendet wurden, zur Berechnung herangezogen wurden, ergab sich ein leicht verändertes Bild. Die Anzahl der Hirngebiete, in denen ein Zusammenhang von Übungsdauer und veränderter «Verkabelung» gefunden wurde, war deutlich kleiner. Wurden die Übungsdauern herangezogen, welche die Pianisten im Alter von 17 und mehr Jahren aufgewendet hatten, reduzierte sich die Anzahl der Hirngebiete weiter, die sich je nach Übungsdauer veränderten. Grob gesagt deutet diese Studie darauf hin, dass der Einfluss der Intensität des Übens auf anatomische Kennwerte der «Verkabelung» sich von der frühen Kindheit (im Alter zwischen fünf und elf Jahren) bis in die postpubertäre Zeit verändert. Während in der frühen Kindheit offenbar

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