Macht nichts, Darling
Schaffarmer womöglich auch nicht viel mehr Poesie im Leibe hätten als ein gewisser Londoner Börsenmakler...
Im Wollschuppen war es heiß und staubig, und der Mischgeruch von fettiger Wolle, Schafkot und Schweiß legte sich erstickend auf die Lungen. Die sechs Scherer blickten kaum von ihrer Arbeit auf, als der Verwalter mit seinen Gästen eintrat, und selbst Nan vermochte dem Ganzen nicht viel Romantik abzugewinnen. Sie sahen ein paar Minuten schweigend zu, bis Sally sagte: »Tja, das ist die Praxis — schmutzig, übelriechend und langweilig. Verstehen Sie jetzt, was ich gemeint habe?«
Nan beantwortete die Frage zum allgemeinen Schrecken mit einer prasselnden Niessalve. Alle starrten sie mit offenem Mund an: Das waren keine damenhaften, diskreten Nieser, sondern durchdringende, unwiderstehliche Hatschis, die ihr hübsches blasses Gesicht röteten.
»Oh, hoffentlich hast du dich nicht erkältet, Nan«, murmelte Alice sanft besorgt.
Nan wehrte entrüstet ab. »Ich erkälte mich nie. Ich hatte nur so ein plötzliches Prickeln in der Nase.«
»Wird wohl vom Staub kommen«, meinte Simon und führte die Damen zu der Wollpresse weiter. Nan bemühte sich redlich, Interesse zu zeigen, was jedoch von einem zweiten, noch längeren Niesanfall durchkreuzt wurde. Sally war nun ehrlich erschrocken. Sie erinnerte sich, von Leuten gehört zu haben, die allergisch gegen Wolle waren. O Gott, wenn das nun ausgerechnet bei Nan der Fall war? Welch grauenhaftes Pech...
»Machen wir, daß wir ’rauskommen, Simon«, sagte sie laut. »Es stinkt zum Himmel. Ich werde nie kapieren, was die Leute an Schafen finden. Kuhställe riechen angeblich auch nicht gut, aber gegen einen Schafpferch sind sie die reinsten Parfümerieläden.«
Simon schoß ihr einen beleidigten Blick zu. Kein Schaffarmer liebt solche Bemerkungen. Für sie stehen Kühe auf einem niedrigeren Niveau als Schafe, und Sally wußte das so gut wie er. »Gehen wir also ins Freie«, sagte er spitzig, ohne sich direkt an sie zu wenden, »wenn Sally zu fein für Wollschuppen ist. Drüben auf einer Koppel habe ich ein paar Zuchtwidder, Nan, die müssen Sie sich genau ansehen, wenn Sie sich für edle Rassetiere interessieren.«
Sally trottete still und demütig hinterher. Sie hatte ihren Zweck erreicht. Die Koppel war ein gutes Stück entfernt, und in der frischen Luft konnte Nan sich von ihrem allergischen Anfall erholen, falls es so etwas war, und sogar Poetisches über Widder äußern, soviel ihr beliebte.
Simon war in seine Zuchtwidder vernarrt und achtete, wie alle Fanatiker, wenig auf die Reaktionen des Publikums. Er erging sich des langen und breiten in Schilderungen ihrer besonderen Vorzüge und fing sogar eines der Tiere ein, um den Damen die schöngedrehten Hörner und die Feinheit der Wolle von nahem zu zeigen. Nan beugte sich bewundernd darüber — und in diesem Moment ging das Unglück wieder los. Die diesmalige Serie von Niesern war noch lauter und ausgiebiger als die ersten. Sie wandte sich hastig ab und trompetete in ihr Taschentuch, ohne den hartnäckigen Anfall vorerst abstoppen zu können. Als sie endlich verstummte und sich wieder umdrehte, sahen die anderen mit Schrecken in tränende Augen und ein verquollenes, über und über mit häßlichen roten Flecken bedecktes Gesicht. Nach einer erschütterten Schweigeminute sagte Sally resolut: »Nun hör schon auf mit deinen alten Böcken, Simon. Wir wollen lieber zum Mittagessen gehen. Ich für mein Teil hab’ jetzt genug.«
Nan widersprach diesmal nicht. Sie sprach überhaupt nicht, sondern hielt sich im Hintergrund und blieb ab und zu stehen, um sich auszuniesen. Nach jeder Attacke wurden die roten Flecken und Schwellungen deutlicher. Was würde sie sagen, dachte Sally betrübt, wenn sie in den Garderobenspiegel sah?
Nan warf nur einen entsetzten Blick hinein und sagte nichts — eine Haltung, die jedermann nur bewundern konnte. Aber sie äußerte nun auch keinen Wunsch mehr, die endlosen Weiten und grünenden Gefilde zu sehen, sondern schien nur bestrebt zu sein, so bald wie möglich von Luthens und damit auch von Simon wegzukommen. Sally bemerkte verzweifelt, daß sie ihn geradezu mit Abneigung, wenn nicht mit Feindseligkeit betrachtete...
Tante Dorothy meinte mitleidig, Schafe wirkten auf manche empfindlichen Naturen verheerend, woran sie eine lange Geschichte von einem Mädchen knüpfte, das mit einem Schaffarmer verlobt gewesen war, aber dermaßen unter ihrer Allergie gelitten hatte, daß sie
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