Macht: Thriller (German Edition)
jüdischen Fest Schawuot , der Feier der Offenbarung der Thora an das Volk Israel. Mit heftigem Brausen und als Flammenzungen hat der Heilige Geist von den Frauen und Männern Besitz ergriffen. Eine Flamme hat sich auf jeden einzelnen gesetzt, und die Jünger sind hinausgegangen und haben in Jerusalem gepredigt. In einer Sprache, die jeder verstanden haben soll, egal woher der Zuhörer gekommen ist. – Verstehst du, Josi? – Die haben in Zungen geredet, in der Sprache, die jeder Mensch versteht. In der Ursprache.«
Ding Dong! Die Türklingel zerfetzte alle Gedankengespinste.
Josephine zuckte zusammen und sah Gernot mit großen Augen an. Sie war kreidebleich und um ein Haar wäre ihr die Kaffeetasse aus den Fingern gefallen.
Ding Dong!
Gernot stand auf und knackte mit den Fingerknöcheln.
51
M itterlechner drückte die Eingabetaste und fixierte das 30-Zoll-TFT-Display seiner Workstation . Der IT-Forensiker war neugierig, was wohl als nächstes passieren würde. Er formte ein kleines Dach aus seinen Fingern und lehnte sich zurück. In der Junggesellenmaisonette mit Fernblick auf die Hochhäuser der Donauplatte war es bis auf die roten und grünen Lichtpunkte diverser Standby-Lampen dunkel. Der Computerbildschirm glühte blassblau. Zweidimensionale Bikinischönheiten und leichtgeschürzte Fantasy-Figuren räkelten sich im Halbdunkel. Mitterlechner starrte wie gebannt in das Licht. So beleuchtet, mit dunklen Augenhöhlen und kantigen Wangenknochen, wirkte der junge Informatiker mit dem Wuschelkopf wie ein Gespenst, wie sein eigener matter Abglanz. Seine Mundwinkel zuckten nach oben. »Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!«, sagt er zu sich selbst. Jetzt hätte er breit grinsen wollen wie George Peppard in der Rolle des Colonels John »Hannibal« Smith vom A-Team , mit einer Zigarre zwischen den Zähnen. Er schmauchte mangels verständigen Publikums keine Cohiba , sondern nahm stattdessen einen Schluck aus der Club-Mate - Cola -Flasche. Mitterlechner steckte sich eine Handvoll Kartoffelchips in den Mund und kaute zufrieden mit offenem Mund. Für den Gestank kalten Rauchs in den Vorhängen hätte er sich bis Morgen wieder eine Ausrede für die Mutter ausdenken müssen, um sie ihr beim Eiskastenauffüllen und Aufräumen auftischen zu können. Er hatte aber keine Lust auf weitere Darlegungen der Frau Mama, wie sich ordentliche Gäste in einer vermeintlichen Nichtraucherwohnung zu benehmen hatten. Diesen Kelch sparte er sich für den kommenden Abend mit Freunden auf. Für die nächste Runde ihres zurzeit liebsten Rollenbrettspiels, der Villen des Wahnsinns .
Die Eingabe wurde akzeptiert. Der Datentunnel öffnete sich, die Verbindung in das Virtual Privat Network auf der anderen Seite blieb stabil. Mitterlechner war wie elektrisiert. Eine Unmenge verschlüsselter Daten war hier deponiert worden, auf zig Offices und User verteilt. Der forensische Informatiker kaute auf seiner Unterlippe und nahm noch einen Schluck Club-Mate-Cola . Der Geschmack nach Erde, Zucker und fermentierten Pflanzenteilen moussierte auf der Zunge und verscheuchte die Schläfrigkeit. Er würde sicher Stunden, vielleicht sogar Tage brauchen, um die Verschlüsselung zu knacken. Mitterlechner war zwar erfolgreich in das virtuelle Netzwerk eingedrungen, aber förderte nur Webdings , Einsen und Nullen zutage. Der IT-Forensiker seufzte und rieb sich die Augen.
Ein Pop-up sprang auf. Das Vollbild nahm den gesamten Monitor ein.
Mitterlechner zuckte unweigerlich zurück.
Eine Struktur aus Linien, Rechtecken und Kreisen erschien.
Der junge Mann atmete durch und zog die Brauen zusammen. Die Zeichnung, überlegte er, könnte einen Grundriss darstellen. Möglicherweise von einem komplex strukturierten Gebäude mit mehreren Ebenen.
Neue Bewegung auf dem Bildschirm. Layer Ads geisterten über die angezeigte Grafik. Mehrstellige Digitalanzeigen wanderten über den Monitor, verblassten hier und tauchten dort wieder auf. Animierte Zahlen ratterten los, verharrten und liefen wieder weiter.
Mitterlechner zückte Bleistift und Papier. Sein Bauchgefühl riet ihm, in den Zählwerkpausen so schnell mitzuschreiben wie er nur konnte. So eine Show hatte er noch nie gesehen. Der abgenagte Griffel kratzte über den Notizblock. »7°36’27,79°S; 110°12’13,33°E«
Die Anzeige wechselte. Das Foto einer Küstenlinie erschien. »27°8’23,60°S; 109°17’21,30°W.« Die Küste verlor sich in dunkelblaues Wasser. »24°0’59,96°N, 32°52’59,99°E.« Das
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