Macht: Thriller (German Edition)
Leuchtpunkt erstrahlte in der Nacht der Erdsüdhalbkugel. Eine sonore Männerstimme übertönte die Sphärenklänge. » Legend has it that Neil Armstrong, when he set foot on the moon, spotted a strange glow emanating from a specific area on distant planet Earth.«
Neil Armstrong rückte aus dem Mittelpunkt des Interesses. Die Perspektive strebte der Erde zu. Der Blaue Planet drehte sich. Der Tag begann auf der Südhalbkugel. Der Betrachter wurde immer näher an die Planetenoberfläche im Sonnenlicht geführt.
»Upon closer examination, the area from where this light came from proved to be located in South-East-Asia, in Indonesia, in central Java, from a sacred place called – the BOROBUDUR.«
Auf dem Satellitenfoto des Borobudur stach der Grundriss der Anlage ins Auge. Ein Diamant-Mandala.
Josephine drückte Stopp. »Das hab ich schon einmal gesehen«, sagte sie und stand auf. Sie zog den Innenzippverschluss der Handtasche auf und holte das Zeichenpapier heraus. Sie entfaltete das Blatt und legte es auf den Tisch.
Udo wurde neugierig. Er trat hinter Josi und lugte ihr über die Schulter. Auf dem Tisch lag der Grundrissplan des Borobudur. Im Eck darunter hockte eine Ameise, oder so etwas Ähnliches. »Oh!« Kernreiter war überrascht, die Planskizze bei Josi zu sehen. »Wer hat das gezeichnet?«
»Das weißt du verdammt nochmal genau!« Josephine wirbelte herum. Sie funkelte Udo an und bekam eine Stinkwut beim Anblick der Überraschung in seinem Gesicht. Er mimte das Kind, das man beim Keksklauen ertappte. Sie nahm die Zeichnung und klatschte sie Kernreiter auf die Brust. »Den Plan hat Lilly gezeichnet. Sie hat sogar Neil Armstrong auf dem Bild verewigt. Sie malt immer dasselbe, seit Gabriel tot ist! Die Koordinaten von diesem Mitterlechner, das Bild im Naturhistorischen, alles bezieht sich auf den Borobudur!« Der Druck in ihr wuchs ins Unerträgliche. Zwei Frauen und drei Männer hatten das Hirngespinst mit dem Leben bezahlt, und viel zu viele Unschuldige mussten mit dem ihren für die Zinsen aufkommen. Sie ballte die Fäuste und verkrampfte sich. Sie presste einen gedämpften Schrei durch die Zähne und schlug mit der flachen Hand auf Udo ein. »Was – habt – ihr – euch – dabei – gedacht?!«
Kernreiter zog die Schultern ein und wehrte sich nicht. Nachdem Josi die Arme verschränkt hatte und ihm den Rücken zukehrte, richtete er sich wieder auf. Er legte die Zeichnung auf den Tisch und strich das Blatt glatt. »Dir wird als Anthropologin aufgefallen sein, dass es ein Diamant-Mandala ist. Der Plan des Universums. Der Borobudur symbolisiert den Berg Meru , den Weltenberg im Zentrum des Universums. Der Tempel wurde im achten oder neunten Jahrhundert über einem Felsenkern erbaut und hat die Form einer Stufenpyramide. Auf insgesamt neun Ebenen wird die Erleuchtung des Prinzen Siddhartha Gautama zum Buddha Shakyamuni für Pilger erfahrbar gemacht. Der Tempel verkörpert den Pfad zur Erleuchtung!«
»Ja, danke, ich weiß.« Josephine schob die Unterlippe vor. »Der erste Europäer, der die Götterbildnisse mit den Heiligenscheinen auf Java beschrieben hat, war übrigens ein Österreicher. Der Geistliche ist im vierzehnten Jahrhundert aus dem Friaul in Norditalien über Sumatra und Borneo bis nach Tibet und wieder zurück gereist. Odorich von Portenau schwärmt in nahezu ekstatischen Worten von den herrlichen Tempelanlagen und den stufenförmig angelegten Sakralbauten auf Java. Seine Reiseberichte sind 1513 als Prachtband De rebus incognitis in Paris erschienen. Die geheimnisvolle Insel Java wird in dem Buch spaßigerweise Diana genannt. Ein Lapsus, der sich wohl aus der missverstandenen Lesart von d’Iava ergeben hat.« Josephine durchfuhr es siedend heiß. Missverstandene Lesart! Die Puzzlesteine fielen vor ihren Augen ineinander. Sie holte Gabriels Aufbewahrungsbox aus dem Kasten und kippte den Inhalt auf den Spannteppich. Sie fischte das Faksimile des Voynich-Manuskriptes aus dem Blattsalat und schlug die Kosmologische Sektion auf. Mit flinken Fingern klappte sie die Karte mit den neun rosettenartigen Mustern aus. Die Rosetten waren angeordnet und untereinander verbunden wie ein Mühlespiel. Josephine legte Lillys Zeichnung daneben und tippte mit dem Zeigefinger auf das Muster im rechtwinkeligen Knotenpunkt rechts oben. Die rosettenähnliche Struktur entsprach der schlampig-schwabbeligen Freihandkopie des Tempelgrundrisses. Josephine stützte sich mit beiden Händen auf, blies die Luft aus der Nase
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