Macht: Thriller (German Edition)
und schüttelte den Kopf. »Odorich hat sich im Zuge seines Aufenthaltes eingehend mit dem Mahayana-Buddhismus und seinem Verständnis von der Ganzheit der Lebenswelt beschäftigt. Und er hat das Wissen mit nachhause gebracht. Der Borobudur ist das Monument der Mahayana-Könige von Java.« Sie griff sich an die Stirn und blickte Udo in die Augen. »Habt ihr geglaubt, eine Darstellung vom Netz des Indra aus dem Avatamsaka-Sutra in einem norditalienischen Manuskript aus dem Mittelalter gefunden zu haben? Eine christliche Buchmalerei, die das Netz darstellt, über das der indische Götterkönig Indra verfügt und von dem die Reliefs des Borobudur berichten? Habt ihr allen Ernstes gedacht, diese Mandala-ähnlichen Wirbel sind die Knoten aus Edelsteinen? Dass die Kosmologische Sektion eine buddhistische Karte des Universums enthält?«
»Wie oben so unten, wie im Großen so im Kleinen. Genau.« Udo zog die Mundwinkel nach unten und nickte. »Mit dem Konzept des Blumengirlanden-Sutras hat der Buddhismus bereits im ersten Jahrhundert eine holistische Netzwerk-Auffassung von der Wirklichkeit entwickelt. Zweitausend Jahre vor dem Internet, diesem Homunculus.«
»Schon klar.« Josephine runzelte die Stirn und schleuderte eine Postkarte aus Gabriels Schachtel vor Udo auf den Tisch. »1513 ist De rebus incognitis in Paris erschienen. Exakt fünfzig Jahre danach hat Pieter Brueghel den Großen Turmbau in Antwerpen gemalt. Als neunstöckige Stufenpyramide über einem Felsenkern auf einer Insel errichtet. Das konnte natürlich kein Zufall sein. O nein! Wo doch die Ostindienfahrer schon im Indischen Ozean kreuzten, die Schiffe vor der Baustelle im Bild vor Anker liegen, und Nimrods Untertanen den asiatischen Kotau vollführen.« Sie hob die Hand vor das Gesicht und machte den Scheibenwischer. »Warum habt ihr mich nicht gefragt? Ich hätte euch sagen können, dass das so nicht funktioniert.«
»Warum stecken wir dann bis zum Hals in der Scheiße?« Udo wurde puterrot im Gesicht.
Josephine schluckte und machte einen Schritt zurück. »Das ist eine berechtigte Frage«, murmelte sie und nickte geistesabwesend. Die Ähnlichkeit der Kosmologischen Sektion und der Diamant-Mandalas war augenfällig. Das Netz des Indra die Ursprache der Menschheit? Nein, nein. Ihr wurde kühl und sie rieb sich die Oberarme.
»Wir – nein – ich habe uns da hineingeritten.« Udo setzte sich auf das Bett. »Vielleicht kann ich uns da auch wieder rausziehen.«
»Wie willst du uns aus dem Morast ziehen, bitte?« Josephine unterdrückte das Lachen. »An deiner Haarlocke, wie Münchhausen?«
Udo schüttelte den Kopf und holte die Visitenkarte aus der Hosentasche. »Ein Mann hat vor kurzem mit mir Kontakt aufgenommen. Er ist aus Berlin und heißt Doktor Steuben. Er weiß, woran Gabriel und ich gearbeitet haben. Er will uns helfen. Ich hab mit ihm geredet, bevor ich zu dir gekommen bin.«
Josephines Augenbraue rutschte hoch. »Der Typ ist in Wien?«
»Nein. Er hat heute früh die Stadt verlassen. Wegen beruflicher Diskrepanzen, sagt er. Keine Ahnung.« Udo übergab Josephine die Visitenkarte. »Steuben ist mit der 10:35 Maschine nach Frankfurt abgeflogen. Er möchte, dass wir uns mit ihm und ein paar Freunden von ihm treffen. Sie möchten uns alles erklären.«
»Wann?« Josephine verschränkte die Arme.
»Heute Abend nach der Buchmesse. Mit dem Auto brauchen wir sechseinhalb Stunden.« Udo schüttelte das Ziffernblatt der Armbanduhr aus dem Hemdsärmel und kontrollierte die Uhrzeit. »Wenn wir vor drei losfahren, sind wir gegen neun in Frankfurt. Und wenn Gernot auf die Tube drückt, schaffen wir es eher.«
»Und wenn es keinen Stau gibt! Du bist sehr optimistisch, mein Lieber.« Josephine schürzte die Lippen und las die Visitenkarte. Doktor Steuben arbeitete im Teilbereich Neurostimulation für eine ziemlich bekannte Firma, die erstklassige Prothesen und Orthesen herstellte. Das Unternehmen befasste sich mit Kommunikationstechnologie und neuerdings auch mit Robotern. Doktor Steubens Büro und Labor in Berlin lag in einem Science Center an der Ebertstraße. Josephine gab Udo die Karte zurück. Hoffentlich hatte Udo die Lage nicht verschlimmert.
73
Frankfurt am Main
D oktor Steuben war am Hauptbahnhof in die U4 umgestiegen und betrat die Frankfurter Buchmesse durch den Eingang City. Er erduldete die Warteschlangen vor Ticketkauf und Kontrollschranke, reihte sich brav ein und ließ sich mit dem Förderband zu den Ausstellungshallen transportieren.
Weitere Kostenlose Bücher