Macht: Thriller (German Edition)
Mädchen zu bringen.« Aiakos erwartete eine Drohgebärde. Sie kam nicht. Aiakos schmunzelte und beugte sich wieder über das Terrarium.
»Wir wurden überrascht. Eine zweite Frau war im Pfarrhaus.«
Aiakos bemühte sich um eine versteinerte Miene und zog eine Augenbraue nach oben, wie der berühmteste Vulkanier der Welt. »Faszinierend! Das ist ein Witz, aber ein ganz kleiner.« Er machte die entsprechende Geste mit Daumen und Zeigefinger. »Eine einzelne Frau hat Ihren Einsatz sabotiert? War sie kugelsicher?« Er schüttelte den Kopf und verschränkte die Hände in seinem Rücken. »Wo ist außerdem Ihr dritter Mann? Hat ihn diese Frau, die Echidna, halb schönäugiges Weib und halb buntgefleckte Schlange, gefressen?«
»Listen, Buddy, wir machen keine Scherze«, knurrte der dunkelhäutige Amerikaner und schob seinen Brustkorb nach vorne. »Auf dem Friedhof waren in kürzester Zeit überall Einsatzkräfte. Und unser Kamerad ist aufgeflogen. Er wird nachhause geschickt.«
»O! Welch feine Demonstration männlicher Kraftpose! Wie ihre Vorfahren, die mächtigen Affen!« Aiakos wurde schlagartig ernst, trat nahe an den gut einen Kopf größeren Mann heran und sah ihm direkt in die Augen. »Machen wir es kurz: Sie haben versagt! Ich bin Aiakos, Sohn des Zeus und der Aigina, und ihr seid die Myrmidonen, meine Ameisenkrieger. Ich gebe die Befehle, ihr führt sie aus. So wollen es die Götter! But for you, my narrow-minded friend, ihre Vorgesetzten.«
Der Afroamerikaner starrte an die Decke und machte einen Schritt zurück. Hinter seinem Rücken ballte er die Fäuste.
Aiakos musterte sein Gegenüber von oben bis unten. Er wartete einen Moment, aber als nichts mehr von dem Mann kam, drehte er sich wieder zu dem Ameisenhaufen um. »Ich kümmere mich um die Frau, Sie beide bringen mir das Kind. Verstanden? – Und jetzt zu etwas Lehrreichen, woraus Sie etwas für Ihren weiteren Dienst und über unsere Mission lernen können: Ameisen finden in kürzester Zeit den schnellsten Weg zu ihrem Ziel, einer Nahrungsquelle.« Aiakos deutete auf eine Schale mit Zuckerlösung. »Eine Kundschafterin findet ihn, die anderen folgen ihr. Alle sonstigen Routen werden prompt aufgegeben. Es war lange Zeit ein Rätsel, wie die Tierchen das machen. Schwarmintelligenz nennt man diesen Effekt in der Biologie. Heute weiß man, dass hinter dieser Form kollektiver Intelligenz Duftnoten stecken. Wegmarkierungen, von denen die Ameisen Zeit und Entfernung von ihrem Bau bis zum Futter ablesen. Die effizienteste Route wird ausgemacht, markiert und zur Ameisenstraße. Aber ist das wirklich alles?« Er drehte sich nach seinen Besuchern um und genoss ihre verwirrten Blicke. Er nahm den dunkelhäutigen Amerikaner am Arm und führte ihn zu einem der kleineren Plexiglaskuben. »Hier legen sie ihre Toten ab. Auf dem Ameisenfriedhof. Sie haben sicher geglaubt, die Toten würden von den anderen Ameisen einfach gefressen. Aber das sind zivilisierte Insekten, keine Wilden. Die Toten werden bestattet. In der freien Natur bläst der Wind die Kadaver fort, aber unter Laborbedingungen kann man dieses bemerkenswerte Gebaren studieren.« Er zog den Mann zu einem Kubus auf der anderen Seite und zeigte auf das Rohr, das ihn mit dem Ameisenhaufen in der Mitte verband. »Die Arbeiterinnen bringen die Eierschalen, aus denen ihre Schwestern geschlüpft sind, zu einem anderen Ort. Wie Sie bemerken werden, genau gegenüber dem Friedhof. Eine klare räumliche Trennung von Geburt und Tod. Gibt es ein aussagekräftigeres Zeugnis für Bewusstsein, frage ich sie. Ich meine, nein.«
»What the fuck …«, stöhnte der Amerikaner und befreite sich aus dem Griff seines Führers.
Der andere fühlte sich beobachtet und hob die Augen. Überlebensgroße Stuckfiguren schmückten den Saal XIV. An allen vier Wänden waren mehrere Gruppen, jeweils ein Mann und eine Frau, mit den Gesichtszügen und in den Kostümen der Kulturen der Welt Ende des 19. Jahrhunderts. Einige trugen Federkronen und Kopfputze, andere Ohrscheiben, Ketten, Waffen und dergleichen mehr. Manche Mienen wirkten in die Länge gezogen wie die des Pharaos Echnaton der altägyptischen Amarna-Dynastie. Andere hatten Nasen geschwungen wie der Schnabel eines Adlers. Der Mann fühlte sich an Masken auf präkolumbianischen Urnen und Steinreliefs erinnert, die er im National Museum of the American Indian in New York gesehen hatte. Und schon im nächsten Moment hörte er Trommeln und Gesang, und die Vision einer blutigen
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