Macht: Thriller (German Edition)
hinter sich. »Ist es wegen der Puffen, dass du so dreinschaust? Hast du sie gesehen?«
Josephine nickte und verschränkte die Arme vor der Brust. »Tödliche Waffen im Haushalt machen mich nervös.«
»Ich sag doch, sicher ist sicher«, erklärte Szombathy und streichelte ihren Oberarm. »Du brauchst keine Angst zu haben, sie ist nicht geladen. Magazine und Munition bewahre ich woanders auf. Getreu den Paragraphen des Gesetzes. Nicht die Waffe ist tödlich, sondern die Absicht des Menschen, der sie benutzt. Und meine Absichten, und das solltest du nach all den Jahren wissen, sind harmlos.« Gernot fläzte sich auf einen der Lederfauteuils und legte das Kuvert vor sich auf den Couchtisch. »Wollen wir reinschauen? Oder sollen wir auf die anderen warten?«
Genau genommen kenne ich dich gar nicht, wir haben uns über ein Jahrzehnt nicht mehr gesehen, dachte Josephine und runzelte die Stirn. Sie setzte sich Gernot gegenüber auf die Couch und beobachtete ihn. Wie er da saß, völlig verändert. Kaum zu glauben, dass er derselbe war, der nach ihrem Kuss den toten Hund markiert hatte. Solange bis sie schließlich alleine am Westbahnhof in den ICE gestiegen war, weil sie nicht mehr länger auf ihn warten wollte. »Nein, gucken wir rein«, entschied Josephine und öffnete den Umschlag.
Das Papier war mit Flecken gestockten Blutes durchzogen und wellte sich. Es war Gabriels Blut. Josephine ließ die Nachricht fallen. Sie schreckte davor zurück, den Zettel noch einmal anzufassen, das Blatt war umgeben von der Aura des Todes. Josephine schürzte die Lippen und fuhr sich über das Gesicht. Sie ärgerte sich, dass es ihr so schlecht gelang, die Angst zu überwinden und sich auf ihre wissenschaftliche Professionalität zu berufen. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass sie den Besitz eines Toten in die Hand bekam. Sie musste Gabriel jetzt vergessen, und das Blatt als Forschungsobjekt betrachten, als ein Artefakt aus einem anonymen Grab.
Josephine packte die Nachricht und strich sie glatt. Sie starrte auf die unverständlichen Zeilen, die hastig notierten Zahlenkolonnen. Seit gestern Abend hatte sich nichts verändert. Sie verstand die Botschaft noch immer nicht. Sie lautete:
»+10-4-1903 219-18-28 143-11-3 47-6-14 451-3-6 179-19-7 47-2-14 87-12-14 15-31-26 283-34-14 127-24-19 321-1-17 47-6-14 446-11-19 32-5-23 322-30-22 23-3-32 9-11-21 15-31-26 415-32-2 322 214-4-3 365-28-20 127-20-36 163-14-10 270-1-14 102-20-17 227-35-24 77-7-6 28-40-14 171-25-19 318-15-25 15-31-26 127-24-19 1-22-4 47-6-14 87-12-14 9-11-21 15-31-26 32-20-23 322-30-22 23-22-23 3-22-9 111-7-2 9-11-21 224-11-10 149-2-1 8-33-8 3-22-9 88-41-2 79-18-11 69-7-20 440-15-12 9-11-1 21-21-21 20-7-22 1-1-9 32-2-3 7-18-8 69-7-20 19-6-9 79-18-11 23-11-9 23-2-32 47-2-14 163-14-10 415-32-2 62-7-7 157-15-25 19-6-9 69-20-7 23-2-3 88-38-23 9-11-1 20-7-30 88-32-2 19-6-9 23-2-32 220-25-17 23-2-3 87-12-14 88-38-23 7-20-15 357-24-16 33-1-30 11-7-2 8-33-8 69-20-7.«
Josephine fokussierte das Blatt, das Ringsherum versank im Nirvana. Die Zahlen begannen nach einiger Zeit unter ihrem Blick zu tanzen und zu verschwimmen. Wenn die Botschaft nicht in den Zahlen lag, vielleicht war sie dahinter verborgen? In einem Muster vielleicht, wie bei diesen 3D-Bildern von Das magische Auge ? Ein metallisches Kling-Klack ließ Josephine erzittern. Die Pistole, die Pistole! Sie sprang aus den Kissen, die Nachricht fiel ihr aus den Fingern und ihr Herz raste.
»Bisschen schreckhaft, wie?«, amüsierte sich Gernot und legte das Zippo auf den Couchtisch.
Josephine holte aus und verpasste Gernot eine Ohrfeige. In der nächsten Sekunde konnte sie wieder klar denken und entschuldigte sich.
Gernots Amüsement wich einem finsteren Ausdruck. »Ich weiß, Josi, seit Gabriels und Sophies Tod liegen die Nerven blank. Geht mir genauso, ich hör auch schon das Gras wachsen.« Er dachte an die zwei Schlipsträger in der Gumpendorfer Straße, formte einen Rauchkringel und legte die Smart auf den Rand des Aschenbechers. »Vergiss es! Ich hätte dich nicht verarschen sollen. – Was sagen dir die Zahlen, Frau Doktor?«
Josephine fühlte sich elend und den Tränen nahe. Sie rang nach Luft und Worten. Nichts wollte passen. Sie schaute nach links und rechts, streichelte Gernot über den Kopf und setzte sich wieder hin.
»Ich bin mir nicht sicher«, begann sie zaghaft und drehte das Blatt so um, dass Gernot mitlesen konnte. Josephine beschlich ernster Zweifel. Wie sollte sie es formulieren? Endlich
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