Macht: Thriller (German Edition)
Der Mann blieb auf halbem Weg zur Tür im Vorzimmer stehen, holte ein Moleskine-Notizbuch aus der Manteltasche und drehte sich nach der Tischvitrine um. »Wenn es nicht zu unverschämt ist, dürfte ich Sie um einen Ihrer Kugelschreiber bitten, Herr Pogitsch? Ich habe unglücklicherweise meinen goldenen Dupont verlegt und würde mir gerne Ihre Telefonnummer und Anschrift notieren. Ich hoffe zutiefst, ihn nicht in meinem Hotelzimmer vergessen zu haben. Sie wissen ja, die ausländischen Zimmermädchen heutzutage, die diebischsten Elstern!«
Pogitsch drückte ihm seine Visitenkarte und einen der Plastikstifte in die Hand. »Ich speichere meine Kontakte ja im Handy. – Aber bitte, Sie können gerne einen Kuli haben. Behalten Sie ihn. Einer mehr oder weniger fällt bei mir nicht ins Gewicht, wie Sie sehen. Werbegeschenke von Kunden. Nichts Besonderes.« Warum waren die Reichsten nur immer die schamlosesten Schnorrer? Von nichts kommt halt nichts. Pogitsch seufzte leise.
»Ich bin mir sicher, er wird seinen Zweck erfüllen. Danke, Herr Pogitsch!«
Pogitsch drehte den Schlüsselbund im Schloss, hielt seinem Besucher die Eingangstür auf und schüttelte ihm die Hand. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend! Und viel Glück bei der Suche nach ihrem Dupont. Ich lasse Sie es wissen, sobald ich mit der Renovierung fertig bin.«
»Danke. Das ist sehr freundlich. Ich weiß ihre Professionalität und Verschwiegenheit sehr zu schätzen.« Der elegante Herr sah dem Goldschmied in die Augen und lächelte freundlich. Dann drehte er sich um und trat auf den Gang hinaus. »Leben Sie wohl, Herr Pogitsch!«, sagte er leise.
Bruder Aiakos wirbelte herum und rammte Pogitsch mit der linken Hand den Kugelschreiber in den Hals.
Der Goldschmied riss die Augen auf, japste nach Luft und sackte rücklings zusammen.
Aiakos stieg über den röchelnden und zuckenden Pogitsch, zog die Tür hinter sich zu und schloss ab. Er packte den Goldschmied an einem Bein und schleifte ihn unter den Kristallluster des Vorzimmers. Ohne sich noch einmal nach seinem Opfer umzusehen ging Aiakos in die Werkstatt hinüber und holte den Goldkessel. Er platzierte das Gefäß neben Pogitsch unter der Vorzimmerlampe und prüfte die Aufhängung. Der Metallhaken in der Decke trug. Aiakos fasste in die Innentasche seines Mantels und entrollte ein Kunststoffseil. Ein Ende wand er um den Knöchel des Goldschmieds, das andere warf er über die Arme des Lusters. Er umfasste das Seil mit beiden Händen und zog. Mörtel und Stuck rieselten aus der Deckenaufhängung. Der Leuchter sackte ein paar Zentimeter ab, Kabel und Lüsterklemmen wurden sichtbar. Der Lusterhaken ächzte und zerrte an den Deckenbalken.
Pogitsch krallte sich im Läufer fest. All sein Bemühen war vergebens. Seine Füße hoben sich vom Boden, dann die Knie, die Hüften und schon bald baumelte er über dem Kessel. Der Goldschmied ruderte mit den Armen, zappelte mit einem Bein, aber bekam keinen festen Halt zu fassen. Keine Hilfeschreie, nur gurgelndes Krächzen kam über seine Lippen. Blutiger Speichelschaum verklebte ihm den Atem, während das Blut der Halswunde in den Goldkessel rann. Der späte Besucher stand abseits und sah mit teilnahmslosen Augen zu.
Aiakos wechselte von den ledernen in Einweghandschuhe aus Kunststoff und kontrollierte die Uhrzeit. Er machte ein angewidertes Gesicht und polierte den Blutstropfen von dem silbernen Totenkopf über den gekreuzten Knochen an seinem Manschettenknopf. Er hatte maximal zwei Stunden Zeit, um sein Werk an Pogitsch zu vollenden.
Aiakos ließ die Rollos herunter und drehte alle Lichter in der Werkstatt auf. Er setzte sich an die Tischvitrine und nahm sich eine Karteikastenlade nach der anderen vor. Er las jeden Namen auf den Papierbeuteln und begutachtete den Inhalt. So sehr er sich auch mühte, er konnte in dem Durcheinander kein nachvollziehbares Ablagesystem erkennen. In den Laden gab es weder eine alphabetische, noch eine numerische Ordnung. »Sauhaufen«, murmelte er und suchte weiter. »Wie bei den Hottentotten!« Das Ticktack der Uhren und das Röcheln aus dem Vorzimmer zerrten an seinen Nerven. Die Zeit rann ihm die durch die Finger. Wenigstens das Ächzen aus dem Vorraum erstarb nach einer Weile, und Aiakos hörte nur noch ein gedämpftes Plitsch-plitsch-plitsch wie das Tropfen eines Wasserhahns.
Das Martinshorn eines Einsatzfahrzeuges schreckte Aiakos aus seiner Suche auf. Er knipste die Lampen aus, schlich zum Fenster und spähte durch die Lamellen
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