Macht und Rebel
Recht er mit dieser Einschätzung des alten Journalisten und dessen Pedanterie hat. Erstens besitzt er tatsächlich eine Privatbibliothek. Und außerdem behandelt Isak, so heißt er, seine Frau auf eine Weise, die die harten Fakten bestätigt: Dass sie mehrmals pro Monat über ihm kauert und ihm auf den kahlen Schädel uriniert, ach ja, das ist völlig in Ordnung, aber dass sie ein einziges Mal bei einem Abendessen im Hause von Frank Wise den Namen des legendären Nachrichtenreporters Javier Montoya-Borrajo falsch ausgesprochen hat, verzeiht er ihr nie. Nie. Urin: okay. Falsche Aussprache: nicht okay.
Samstag ist für Macht kein freier Tag. Mit blankem Hintern schreibt er drei Mails, während der Kaffee durch die Maschine gluckert; er sucht fünf Artikel über Bakunin aus dem Netz, die er zwischen Kaffeeschluck eins und Kaffeeschluck zwei ausdruckt; er liest sie alle fünf (circa vierzig Seiten), bevor er sich ein Honigbrot schmiert, und während er das Honigbrot isst, sieht er CNN und programmiert zugleich seine Snuffvideojukebox; er wählt neutrale Kleidung, Jeans und weißes T-Shirt, zieht NIKE-Kopien in Erwägung, befindet aber, dass er lieber Originale nimmt, nachdem er sich gestern bis zum Abwinken Remmy Bleckners Gelalle hat anhören müssen.
Um elf nimmt Macht wiederum im TESCO Platz, wo er zwei Mädchen treffen will, die einen Fotoroman im Zeitschriftenformat herausgebracht haben; er handelt von Pyromanie. In einem glossy Zeitschriftenformat, Tiefdruck, wohlgemerkt. Nicht unähnlich SICHIS PAPER, aber mit doppelt so hoher Auflösung der Fotos und halb so großer Schrift. Macht hat das Druckwerk gesehen und gehört, dass die Mädels ziemlich crazy und wild sein sollen – natürlich außerdem noch verteufelt hübsch. Alles andere, so könnte man sagen, wäre kaum denkbar bei Mädchen, die sich im Underground durchschlagen. Eigentlich gibt es unter diesen Bedingungen nur zwei Mädchentypen, und beiden geht es einzig und allein und nicht weiter überraschend mal wieder darum, die männliche Sexualität zu verwirren und zu übertölpeln: Entweder muss eine zickig wie die Hölle sein, hässlich und wichtig bis zum Abwinken, möglichst noch mit einem psychotischen Charisma und üblen Stimmungsschwankungen usw. versehen wie Jenna, Nasdaqs linke Hand drüben im TENZING, oder sie muss verteufelt hübsch und wild und crazy und gern manisch mit allerlei Groteskem beschäftigt sein, inklusive perverser Spielarten sexueller Betätigung. Die zwei heute gehören zur letztgenannten Kategorie.
Macht bestellt sauren Kaffee, anderen gibt es im TESCO nicht, und die beiden jungen Frauen erscheinen, jede in ihren krankhaften Stilmix gekleidet, der jeweils auf ganz und gar distinkte Weise erzählt: »Ich bin ja so was von crazy und durchgeknallt, aber sauhübsch, wenn du mal genauer hinschaust, ich verliere leicht die Kontrolle, aber hey hey!, ich lass mir nix gefallen und bin knochenhart, ich bestimme, wo's langgeht, selbst wenn … oder vielleicht eben weil … ich mich wie ein Girlieblödi aufführe.« Macht begrüßt sie vorschriftsmäßig begeistert und erzählt, wenn sie wollen, könne er ihnen einen Kontakt mit FRONTLINER, a Schlachtplatte of Theory, Art, XXX, Music, Economy and Style verschaffen, so dass sie eine bessere Distribution bekommen. Die Mädels nicken und sind süß, ernst, crazy und geil und die eine geschäftstüchtiger als die andere, und dann gehen sie.
Macht bleibt an seinem Tisch sitzen. Er ruft Robert an – den jungen Typ, den NIKE seiner Empfehlung nach heute Abend zur PUSH-Party Nr. 5 schicken soll –, um ihm ein paar Verhaltensmaßregeln zu erteilen. Robert am anderen Ende der glasklaren NOKIA-Verbindung schreibt sich alles auf, was Macht ihm sagt, und gerade, als Macht sagt: »… und fall bloß nicht auf, die Sauhunde dort riechen õanständigeã Leute gegen den Wind«, sieht er FF, der ins TESCO kommt. FF ist ein Mitarbeiter von PUSH.
»Oki, Robert, ich muss dann mal, see you heute Abend gegen elf am Hangar 9.« Macht winkt FF zu sich. FFs Haar ist so trocken, dass Fatty schon mehrfach geäußert hat, es quäle ihn geradezu, neben ihm zu sitzen und Zigaretten zu rauchen. Und obgleich Macht weder diese Äußerungen Fattys gehört hätte noch rauchen würde, denkt er unmittelbar:
»Scheiße, ich hab gar nicht mehr gewusst, dass FF so trockenes Haar hat …«
FF bat einen noch größeren Fanzine-Fetisch als Fatty selber; bis dato hat Macht ein Dutzend seiner Fanzine-Konzepte gestohlen und
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