macht weiter
verlegen. »Hol's der Teufel, ich stehe bereits in Ihrer Schuld, und wenn,..«
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen für das Angebot bin«, sagte sie herzlich.
»Tatsächlich?« fragte er verblüfft. »Na, dann vergessen Sie es nicht. Ist eigentlich Ihre Balkontür abgesperrt?« Sie nickte, und er klemmte sich ein Schlüsselbund in den Gürtel. »Volle Kraft voraus. «Er verschwand. Mrs. Pollifax blieb unschlüssig stehen, und jetzt fielen ihr die Gänge und die finsteren Räume ein, wo sich jeder verstecken konnte. Sie kletterte übers Geländer und umklammerte das Seil. Dann schloß sie die Augen, murmelte ein Stoßgebet und ließ sich hinuntergleiten.
»Braves Mädchen!« Robin fing das Seil ab und lotste sie auf den Balkon. »Mit einiger Übung wird aus Ihnen noch eine blendende Einbrecherin.« Er half ihr über das Geländer, leuchtete mit seiner kleinen Taschenlampe die Balkontür ab, und im Nu stand sie offen. »Die Tür zum Flur haben Sie sicher versperrt, oder?«
»Nein, ich wollte mir einen eventuellen Fluchtweg offen lassen.«
»Dann sehe ich mich lieber gründlich um, ob sich das nicht auch ein anderer gedacht hat.« Er fo lgte ihr ins Zimmer. Während sie ihren Geigerzähler verstaute, warf er einen Blick unters Bett, in den Schrank und verschwand anschließend im Bad. Dort hörte sie ihn leise fluchen. »Also, das ist doch die Höhe!« sagte er aufgebracht.
Sie drehte sich um. Robin schob vor sich den verängstigten Hafez her. »Der hat sich hinter dem Duschvorhang versteckt«, erklärte er entrüstet.
10
Hafez stand zwar ganz ruhig vor ihr, aber man sah ihm die Aufregung und die Angst deutlich an. Man sah, daß er geweint hatte. Seine Augen hatten rote Ränder, und seine Wangen waren noch feucht. »Wo waren Sie denn?« rief er verzweifelt. »Ich wollte Sie holen, und Sie waren weg, und ich habe solange auf Sie gewartet.«
»In der Dusche?« erkundigte sich Robin.
»Nein, nein, Monsieur, dort drüben auf dem Stuhl, eine ganze Viertelstunde, aber dann habe ich Ihre Stimmen auf dem Balkon gehört und hatte Angst.«
»Aber warum denn?« fragte Mrs. Pollifax begütigend. »Warum liegst du nicht längst im Bett und schläfst?«
Er schwieg und sah Robin skeptisch an.
»Betrachte ihn als deinen Freund«, sagte Mrs. Pollifax.
»Wenn Sie es sagen, Madame.« Er war ihr eine Erklärung schuldig. »Ich wollte Sie zu meiner Großmutter führen. Sie ist jetzt wach, bitte«, drängte er, »kommen Sie schnell mit mir?«
»Um zwei Uhr nachts?« rief Mrs. Pollifax.
»Nichts da, Bürschchen«, sagte Robin. »Außer ins Bett geht Mrs. Pollifax jetzt nirgends mehr hin.«
Plötzlich war jeder Tropfen Blut aus dem Gesicht des Jungen gewichen. Hing das Heil der ganzen Welt denn von ihrem Besuch ab? Mrs. Pollifax war gerührt und verwundert. »Es braucht ja nicht lange zu dauern«, sagte sie zu Robin. »Das Zimmer liegt in dieser Etage, am Ende des Flurs.«
Er setzte sich an den Schreibtisch und verschränkte eigensinnig die Arme. »Ich bleibe jedenfalls hier und rühre mich nicht, ehe ich Sie zu Bett gebracht habe. Verdammt noch mal, das war doch der Zweck meiner Begleitung, oder?«
Sie sah ihn besänftigend an: »Bin bald wieder da.«
»Andernfalls stelle ich das ganze Haus auf den Kopf«, drohte er. »Welches Zimmer ist es denn?«
»Nummer 150, Monsieur«, sagte Hafez schüchtern.
Robin nickte. Mrs. Pollifax fand sein Benehmen übertrieben, denn schließlich konnte er nicht wissen, was sie im Laufe des Abends erlebt hatte. Sie wunderte sich über seine Besorgnis. »Gehen wir, Hafez«, sagte sie ruhig. Der Junge seufzte erleichtert auf.
Zum Glück war niemand im Flur. Hafez ging auf Zehenspitzen voran, und Mrs. Pollifax, die ihr jüngstes Abenteuer noch kaum überwunden hatte, schlich ihm leise nach. Endlich blieb Hafez stehen und zog einen Schlüssel aus der Tasche. Er schloß die Tür auf und ließ sie in das spärlich beleuchtete Zimmer. Etwas unsicher trat sie ein und blieb zögernd stehen.
Was Mrs. Pollifax sah, war beruhigend. Diesmal gab es keine Serafina, und die Türen in die Nebenzimmer waren zu. Auf dem Nachttisch brannte eine kleine Lampe und warf einen Lichtkreis aufs Bett, in dem Madame Parviz halb aufgerichtet in den Kissen lehnte. Sie trug einen wollenen Morgenmantel mit Kapuze. Die Ähnlichkeit mit Hafez war auffallend. Zwei schwarze Augen sahen sie erwartungsvoll an. Als Mrs. Pollifax näher kam, erschrak sie über die tiefen Schatten unter den Augen dieser Frau. Es war ein sehr
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