macht weiter
Schweigend sah sie zu, wie er die Kassette öffnete. »Angenommen, ich hätte ihn angefertigt - übrigens sehr ordentlich gearbeitet - dann hätte ich den Verschluß hier angebracht, denke ich, und...« Triumphierend drückte er auf den rechten Knopf und nahm das obere Fach heraus.
Neugierig sah er sich seine Entdeckung an. »Allmächtiger, das sind ja gar nicht die Kronjuwelen! Ist das - das kann doch kein Geigerzähler sein?« Er starrte sie ungläubig an.
Sie seufzte und stellte das leere Kognakglas ab. »Doch. Hatten Sie wirklich gestohlenen Schmuck erwartet?«
»Ich weiß nicht«, sagte er ratlos. »Etwas Ungesetzliches jedenfalls, obwohl Sie nicht danach aussehen. Aber ein Geigerzähler? Was wollen Sie denn finden, um Himmels willen? Uran etwa?«
Mrs. Pollifax überlegte, ob sie ihm die Wahrheit sagen sollte.
Schließlich antwortete sie entschlossen: »Eigentlich Plutonium.«
»Plutonium?«
»Ja.« Plutonium war angenehm unpersönlich. Es blutete nicht, war ein toter Gegenstand, ohne Hoffnungen, Träume, Ängste und ohne eine Kehle, die man durchschneiden konnte. Im Augenblick erschien ihr Plutonium bedeutend weniger gefährlich als Marcels Leiche in der Badewanne, und sie wollte auch nicht von Marcel sprechen. Sie hatte in diesem Zimmer Zuflucht gesucht, und Robin hatte sie davor bewahrt, entdeckt und höchstwahrscheinlich ermordet zu werden. Dafür schuldete sie ihm etwas, vielleicht sogar die Wahrheit.
»Die Interpol ist im Spiel, ebenso meine Regierung und die Ihre«, erklärte sie ernst.
»Ziemlich heiß, die Sache!« Unbehaglich war ihm der Anblick des Geigerzählers. »Da scheine ich wohl die Büchse der Pandora geöffnet zu haben, wie? Wenn es sich um Plutonium handelt, kann es nur gestohlen worden sein.«
»Ja, und angeblich ist es hier gelandet.«
»Raffiniert.« Langsam regte sich sein Interesse. »Gar kein schlechter Lagerplatz. Ich brauche gar nicht erst zu fragen, was Ihre hochgeschätzten Behörden befürchten, aber sie wären bestimmt nicht begeistert, daß Sie mir davon erzählen, nicht wahr? Warum haben Sie?«
Sie überlegte. Ihre Aufrichtigkeit war ihr selbst nicht ganz geheuer. »Weil ich an Ihnen einfach nichts Böses finde«, sagte sie schließlich. »Zugegeben, Sie haben auf einem bestimmten Gebiet leicht verzerrte Moralbegriffe, aber ich suche jemand, der überhaupt keine Moral hat, einen... absolut amoralischen Menschen ohne Skrupel, Mitgefühl und Rechtschaffenheit.«
»Hier?« fragte er verwundert. »Unter den Kurgästen?«
»Möglich.«
»Deshalb also waren Sie so erleichtert, daß ich bloß ein Dieb bin. Und heute? Was haben Sie heute entdeckt? Wer war das auf dem Gang?«
»Ich wollte, ich wüßte es, aber leider war ich nicht schlau genug, es ausfindig zu machen.«
»Meinen Sie, daß dieser Jemand noch immer draußen auf Sie wartet?«
Die Frage verwirrte sie. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht.
Robin schüttelte den Kopf. »Sie haben heute kein Pokergesicht, Mrs. Pollifax. Ich habe Sie erschreckt.« Er musterte sie neugierig. »Na schön, ich will nicht indiskret sein. Gehen wir von der Annahme aus, Sie hätten den Kronschatz gestohlen, und die Polizei ist hinter Ihnen her. Können Sie sich drei Meter tief abseilen?«
»Über den Balkon?«
»Allerdings, meine liebe Mrs. Pollifax«, grinste er. »Aber mäßigen Sie Ihre Begeisterung. Haben Sie sich schon jemals abgeseilt?«
»Ja, einmal in Albanien...« Sie brach ab. »O weh, ich scheine wirklich müde zu sein. Das hätte ich niemals ausplaudern dürfen.«
Da musterte er sie von Kopf bis Fuß: ihre Größe, ihr Gewicht, das krause Haar, den weiten Morgenrock, die Wollsöckchen, und er grinste. »Ich habe nichts gehört. Selbst wenn ich es hörte, würde ich es nicht glauben, besonders da ich weiß, daß Amerikaner nicht nach Albanien dürfen. Wer sollte das überhaupt glauben, ich bitte Sie.« Er holte ein aufgerolltes dickes Seil aus seinem Schrank. »Ein Kletterseil«, erklärte er und beklopfte es liebevoll. »Das allerbeste. Es ist übrigens gar nicht schwierig, mein Balkon hat keinen Vorsprung, dafür der Ihre, also baumeln Sie nicht im Leeren. Ich mache den Anfang, Sie kommen nach.« Er betrachtete sie stirnrunzelnd. »Ziemlich unheimlich, zu wissen, wer Sie sind, aber ich finde es nicht minder beängstigend, daß Ihre Vorgesetzten Sie ganz allein und schutzlos hierhergeschickt haben. Wenn Sie es also nicht unverschämt finden, daß ich Ihnen meine Dienste anbiete, falls Sie mal etwas brauchen sollten...« Er stockte
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