macht weiter
faltenreiches Antlitz, zwar immer noch hübsch, aber ohne jede Lebenskraft. Nur der kleine Rest eines unbeugsamen Willens war noch vorhanden und jene gewisse Überlegenheit, die auch ihr Enkel besaß.
»Großmama, ich bringe dir meine Freundin, Madame Pollifax«, sagte Hafez leise.
»Enchanté«, murmelte Madame Parviz und deutete auf den Stuhl, der neben dem Bett stand. Beim Sprechen legte sie immer wieder Pausen ein, als fiele ihr das Reden schwer. »Ich höre, Sie... haben mich... gestern... besucht. Als ich... schlief.«
»Ja, Hafez und ich sind gute Freunde geworden«, antwortete Mrs. Pollifax lächelnd. »Sie haben einen bezaubernden Enkel, Madame Parviz, ich habe ihn sehr ins Herz geschlossen.« Ihre Worte klangen unverschämt gesund und kräftig. Sie hielt es deshalb für angebracht, ihre Stimme zu dämpfen.
Madame Parviz ging auf die liebenswürdige Bemerkung nicht ein. Sie sah Mrs. Pollifax mit einer Unverwandtheit an, die peinlich war. »Darf ich Sie... dann um... eine Gefälligkeit bitten, Mrs... Pollifax?«
Die unvermittelte Bitte wirkte bei einer so distinguierten Dame befremdend. Mrs. Pollifax sah Hafez an, der am Fußende des Bettes stand. Er beobachtete sie aufmerksam. »Aber gewiß«, sagte sie vorsichtig. »Natürlich.«
»Hafez kann es... nicht für mich tun. Ein Telegramm... im Dorf aufgeben.«
»Ein Telegramm«, wiederholte Mrs. Pollifax.
»Aber nicht... hier im Hotel.«
»Ich verstehe«, sagte Mrs. Pollifax. »Ich soll ein Telegramm für Sie aufgeben, aber nicht hier, sondern im Dorf.« Sie griff nach ihrer Tasche. »Ich habe Bleistift und Papier bei mir. Sie brauchen mir nur zu diktieren, was ich...«
»Es ist schon vorbereitet, Madame«, sagte Hafez beflissen.
Das stimmte. Madame Parviz zog ein Stück Papier unter ihrer Decke hervor und hielt es Mrs. Pollifax hin. »Bitte... möchten Sie lesen?«
Die Spannung, die jetzt herrschte, griff auf Mrs. Pollifax über, und sie las flüsternd: »An General Mustafa Parviz, Villa Jasmine, Sharja, Zabya: HAFEZ UND ICH GUT GELANDET UND GESUND HERZLICHST ZIZI.«
Der Text war so banal, daß Mrs. Pollifax den Grund zu Heimlichkeiten nicht verstand. »Und ich soll es nicht von hier aus durchgeben«, wiederholt e sie.
»Bitte... nein.«
Aus dem Zimmer nebenan drangen Schnarchtöne. Hafez und seine Großmutter sahen einander ängstlich an.
»Stimmt hier etwas nicht?« fragte Mrs. Pollifax leise.
»Nicht stimmen?« Madame Parviz machte eine beschwichtigende Handbewegung und stieß ein hohes, unnatürliches Lachen aus. »Aber... nein!« Dann fiel sie erschöpft in die Kissen zurück. »Aber... nein, Madame.«
»Sie ist müde«, sagte Hafez.
Die Audienz war beendet. Mrs. Pollifax erhob sich und ging zur Tür. Dort blieb sie stehen und sah Hafez eindringlich an. »Du und deine Großmutter, ihr habt euch sehr lieb, Hafez?«
Er nickte. In seinen Augen lag Mißtrauen.
Impulsiv bückte sie sich und küßte ihn auf die Stirn. »Ich mag dich sehr gern, Hafez, und ich halte dich für einen sehr tüchtigen jungen Mann.«
»Wie, bitte, Madame?«
Sie schüttelte den Kopf. »Schon gut. Gute Nacht. Ich gehe jetzt.«
Sie schlich über den leeren Flur und betrat mit einem Seufzer ihr Zimmer. Robin saß noch immer mit verschränkten Armen da. »Also?« fragte er verstimmt.
»Also«, antwortete sie und holte tief Luft.
»Haben Sie die blutsaugende Großmutter endlich kennengelernt? Sind Sie jetzt zufrieden?« Er betrachtete sie kritisch und sagte: »Nein, Sie sind es nicht.«
»Es war eine... merkwürdige Nacht«, gab sie zu.
»Sie sind leichtsinnig. Himmel noch einmal, sind Sie leichtsinnig! Bei mir oben waren Sie blaß wie ein Gespenst und zitterten vor Angst, und keine halbe Stunde später gehen Sie unbewegt mit einem kleinen Jungen, den weiß Gott wer geschickt haben könnte.«
»Ja«, sagte sie zerstreut.
»Sie hören mir ja gar nicht zu.«
»Es ist Sonntag geworden. Wo kann man an Sonntagen ein Telegramm aufgeben, Robin? Ich meine persönlich, auf einem Postamt?«
»Sie müssen nach Montreux fahren. Das Postamt dort ist auch sonntags geöffnet. Ab halb neun.«
Langsam stand er auf, sah ihr in die Augen und sagte dann ruhig: »Warten Sie um acht Uhr bei meinem Wagen. Er steht am Haupteingang, ein dunkelblauer Mercedes. Ich fahre Sie hin. Einverstanden?«
»Das ist sehr nett von Ihnen.«
»Nicht der Rede wert«, sagte er beim Hinausgehen. »Schlafen Sie wohl, Gnädigste.«
»Danke.«
»Ach, und übrigens«, fügte er hinzu, »ich würde Ihnen empfehlen, daß Sie Ihren
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