macht weiter
»Aber nur, bis einem einfällt, daß Hafez und seine Großmutter schon seit einer Woche im Sanatorium wohnen, und daß sie das Telegramm um keinen Preis vom Sanatorium aus schicken will. Wir waren nur zu dritt im Zimmer, aber nebenan schien jemand zu schlafen, und als man ihn schnarchen hörte, ist Madame Parviz sichtlich unruhig geworden. Auch Hafez.«
»Sie hatten also den Eindruck, daß niemand etwas von Ihrem Besuch wissen durfte.«
»Sicher. Ich versuche logisch zu denken«, sagte sie sachlich. »Seit ich Hafez kenne, ist er verängstigt, und ich habe das Gefühl, daß er mir immer etwas mitteilen möchte. Nichts Bestimmtes vielleicht, verstehen Sie, aber vielleicht durch Zeichen. Er ist ein überaus intelligentes Kind, und ich glaube, er hat sich verzweifelt Mühe gegeben...«
Sie stockte. Robin warf ihr einen raschen Blick zu. »Nun?«
»Mit etwas fertig zu werden. Mit einer Sit uation, die seine Kräfte gewaltig überfordert. Das habe ich von allem Anfang an gespürt.« Sie zögerte und suchte nach Worten. »Für Kinder ist alles schrecklich wichtig, verstehen Sie? Sie sind aufgeschlossen und unbefangen. Jetzt beginne ich langsam zu begreifen.«
Robin parkte den Wagen vor dem Postamt. »Was begreifen Sie?« Er stellte den Motor ab.
»Ich will nur rasch das Telegramm aufgeben«, sagte sie, kletterte aus dem Wagen, überquerte die Straße und verschwand im Postamt.
Am Telegrammschalter füllte sie ein Formular mit dem gewünschten Text aus. Erst beim Absender zögerte sie. Doch dann schrieb sie einfach »Carstairs, Legal Building, Baltimore, Maryland.« Nachdem das erledigt war, bezahlte sie und ging.
»Sie waren eben dabei, etwas zu begreifen«, sagte Robin, als sie wieder zu ihm in den Wagen stieg. »Hoffentlich klären Sie mich jetzt auch auf.«
»Ach, das! Ja, ich begreife allmählich, warum es Hafez unmöglich ist, mir etwas anzuvertrauen. Er kann es nicht. Ich kann mir auch ungefähr vorstellen, welche Mühe es ihn gekostet haben muß, meinen gestrigen Besuch bei seiner kranken Großmutter einzufädeln. Leicht war es ganz bestimmt nicht.«
Robin sah sie fragend an. »Ihrer Meinung nach scheint also da manches nicht zu stimmen.«
»Tja. Können wir jetzt zurückfahren? Ich möchte mich in den Garten setzen und nachdenken, am liebsten bei heißem Kaffee.«
»Gegen Nachdenken ist nichts einzuwenden«, sagte er und startete. »Verraten Sie mir vielleicht auch, worüber Sie nachdenken wollen?«
»Über dreizehn Aspirintabletten zum Beispiel, oder wie ich heute abend Marcels Tod melden soll, wenn ich meine reichlich primitive Verbindung mit Interpol herstelle, und was ich der Polizei antworte, wenn sie mit ihren Erhebungen beginnt.«
»Das erklärt zwar alles und auch nichts, aber ich weiß bereits genug, um eine Gänsehaut zu kriegen. Wenn Sie gestatten, werde ich heute noch intensiver auf Sie aufpassen.«
»Ich gestatte«, sagte Mrs. Pollifax.
Bei der Einfahrt zum Sanatorium sah Mrs. Pollifax einen Mann die Treppe kehren. Hafez saß, das Kinn in die Hand gestützt, auf der obersten Stufe. Es war genau das gleiche Bild wie bei ihrer Ankunft am Freitag. Nur war heute Sonntag, und Marcel war tot.
Als sie sich dem Eingang näherte, stand Hafez auf. Er sah sie erwartungsvoll und ängstlich an. »Schon erledigt«, sagte sie leise zu ihm.
»Oh, danke, Madame«, stotterte er. Er legte ihr eine zitternde
Hand auf den Arm, dann drehte er sich um und lief weg. »Was machen Sie jetzt?« fragte Robin.
»Ich gehe auf mein Zimmer, dann lasse ich mir eine Portion
Kaffee in den Garten bringen, dann ziehe ich den Pullover aus, und dann...«, schloß sie belustigt ihre Beichte.
»Schön. Bis dann also!«
Er ging nach oben, aber Mrs. Pollifax ließ sich noch etwas Zeit. Sie warf einen Blick auf den Portier, dann widmete sie ihre Aufmerksamkeit dem Büro, dessen Tür offenstand. Es war noch immer leer. Keine Angestellten, keine Direktoren, keine Polizisten, keine Kriminalbeamten. Das beunruhigte sie.
»Suchen Sie jemand, Madame?« fragte der Portier.
Sie schüttelte den Kopf.
»Vielleicht wünschen Sie den gestrigen Herald Tribune«, schlug er vor. »Wir haben einen zuviel bekommen.«
Sie bedankte sich, schob die Zeitung unter den Arm und ging nach oben. Nachdem sie ein leichteres Kleid angezogen hatte, blätterte sie die Zeitung durch. Dabei stieß sie auf ein Foto, das König Jarroud von Zabya zeigte. Sie überflog den beigefügten Artikel, während sie den Reißverschluß ihres Kleides zuzog.
Am
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