macht weiter
sie da. Aus dem Nebenraum drang ein schwaches Geräusch. Es hörte sich an wie das Knarren des Fußbodens. Marcels Mörder kam zurück, um nachzusehen, wer hier war.
Ein Schauer überrieselte sie. Er durfte sie hier nicht finden!
Leise schob sie sich zu der Tür, durch die sie eingetreten war. Sie öffnete und schätzte die Entfernung bis zur Treppe ab. Ausgeschlossen! Die helle Beleuchtung würde sie erbarmungslos preisgeben, ehe sie die Treppe erreicht hatte. Sie drehte sich um, richtete ihre Taschenlampe auf die Tür zum Nebenraum und wartete auf den Mörder. Ihr war ein Ausweg eingefallen.
Wie der Unbekannte zog auch sie sich zurück auf den Korridor. Aber nicht bis zur Treppe. Statt dessen flüchtete sie in die Abstellkammer. In größter Hast ließ sie den Schein ihrer Lampe über die Sicherungen gleiten. Sie waren in französischer und englischer Sprache beschriftet und numeriert. Sie drehte die Sicherung fürs Untergeschoß heraus. In dieser Sekunde mußte hier unten alles dunkel sein.
Die Stille war beängstigend. Eine Tür fiel zu. Jemand ging über den Korridor zur Treppe.
Sie hielt den Atem an. Ihr Verfolger rührte sich nicht. Sicher lauschte auc h er angespannt. Da - wieder ein Geräusch. Sie hatte den Eindruck, daß er sich bewegt hatte.
Er mußte an der Abstellkammer vorbeigegangen sein, denn sie hörte ihn die Tür zur HYDROTHERAPIE auf stoßen. Sie schlüpfte aus ihrem Versteck und rannte zur Treppe. Trotz aller Panik war sie geistesgegenwärtig genug, an die Schmuckkassette zu denken, die sie unter der Treppe versteckt hatte und nun hastig an sich riß.
Sie hatte das Vestibül erreicht. Ihr Herz hämmerte zum Zerspringen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und es wurde ihr beinahe übel vor Angst. Sie blieb stehen und holte Luft. Der Fahrstuhl stand zum Glück da. Sie überlegte nicht lange, drückte den Knopf für Etage vier. Er durfte nicht wissen, in welchem Stock sie ihr Zimmer hatte.
Aber er mußte das Surren des Fahrstuhls gehört haben, denn während sie nach oben fuhr, hörte sie jemand deutlich die Treppen hinaufstürmen. Sicher wollte er sie überholen, um ihr den Weg abzuschneiden. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis der Fahrstuhl hielt und die Tür sich öffne te. Im nächsten Moment würde er sie eingeholt haben, wenn nicht...
Robin! Robin hatte gesagt, daß er das Zimmer über ihr bewohnte. Sie lief an verschlossenen Türen vorbei zu Zimmer 213. Die Tür war nicht abgeschlossen. Es hinderte sie nichts, mit letzter Kraft ins Zimmer zu taumeln.
Robin saß lesend im Bett. Er sah sie etwas verdutzt an. »Nun, Mrs. Pollifax?« sagte er. Dann erst bemerkte er ihr verstörtes Gesicht. »Was ist denn mit Ihnen los?« fragte er bestürzt.
Sie schüttelte den Kopf, legte den Finger an den Mund und verschwand im Dunkel seines Badezimmers. Sofort erwachte in Robin der Komplice. Er knipste die Nachttischlampe aus. In der Stille hörte man Schritte, dann eine Weile nichts. Dann wieder Schritte, und endlich das wohlvertraute Geräusch des Fahrstuhls, der surrend nach unten fuhr.
»Jetzt ganz tief ausatmen«, sagte Mrs. Pollifax.
Robin ging zur Tür, öffnete und sah sich nach beiden Seiten im Korridor um. Dann kam er wieder ins Zimmer, schloß die Tür ab, ging zur Balkontür und zog die Gardinen zu. Jetzt erst machte er Licht und fragte galant: »Findet unser Plauderstündchen heute bei mir statt?«
Sie kam aus dem Bad. »Irgendwo habe ich noch eine Flasche Kognak«, sagte er und suchte in seinem Kleiderschrank. »Ah, da ist er ja. Wunderbar. In Notzeiten hilft er doch besser als Kakao.« Er goß einen Schluck ins Wasserglas und gab es ihr. »Trinken Sie. Sie sehen aus wie ein Gespenst.«
Sie dankte.
»Und während Sie auftauen, werden Sie sich bestimmt eine haarsträubende Lüge ausdenken, um mir zu erklären, weshalb Sie zu dieser nächtlichen Stunde mit irgendwem auf dem Gang Verstecken spielen. Aber geben Sie sich keine Mühe. Ich würde Ihnen Ihr Märchen nicht glauben. Wenn Sie mitten in der Nacht ins Zimmer eines Herrn stürmen und aussehen, als wäre Ihnen eben eine Leiche begegnet, und dabei ausgerechnet noch diesen verdammten Schmuck mit sich herumschleppen...« Seine Augen wurden ganz klein, und er sprang auf.
»Robin!« sagte sie empört.
Aber er trug die Kassette bereits zur Lampe. »Bedaure,
Gnädigste, aber das Dings da hat mich schon den ganzen Tag geplagt, und Sie sind offenbar auch nicht das, was Sie zu sein vorgeben. Mal sehen, wer Sie wirklich sind.«
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