macht weiter
gesehen.«
»Vielleicht.« Sie dachte an die dunklen Gänge von gestern nacht, an die Schritte und an die schweren Atemzüge in der Stille. »Ich habe mir eben überlegt, weshalb Mister Sabry auf den Rollstuhl angewiesen ist. Was ihm wohl fehlen mag?«
»Verstehe«, sagte Robin leise. »Sie meinen, daß er genau wie
Frankenstein nachts umherstreift?«
»Angeblich leidet er an multipler Sklerose«, sagte Court. »Er
kam knapp nach mir hier an, vor mehr als zwei Wochen. Er
nimmt Spezialbäder.«
»Kinderlähmung, Schlaganfälle und Knochenbrüche
hinterlassen Spuren, die jeder Arzt erkennen kann«, sagte Mrs.
Pollifax nachdenklich. »Multiple Sklerose aber is t eine
schleichende Krankheit, nicht wahr?« Ihr fielen Marcels letzte
Worte ein: Ich werde mich erkundigen, das verspreche ich
Ihnen. Im Geiste sah sie Marcel in Sabrys Zimmer treten,
vielleicht, ohne vorher anzuklopfen... Ihr Blick kehrte zum
Gartenhäuschen zurück, durch dessen schmalen Eingang der
Scheich Sabrys Rollstuhl schob. Die beiden umarmten und
küßten sich zum Abschied beinahe wie die Franzosen. Dann
ging der Scheich, drehte sich aber noch einmal um und rief zurück: »Ich bin um sechs Uhr wieder da. Also, auf Wiedersehen, bkhatirrkoom.« Mit dem Lächeln eines vielbeschäftigten Mannes entfernte er sich rasch und ließ Sabry mit einem Berg von Schriftstücken im Schoß zurück. Sabry
begann die Unterlagen zu sichten und zu lesen.
Robin wandte sich an Mrs. Pollifax. »Was denken Sie?« »Daß es an der Zeit ist, mir Klarheit zu verschaffen.« Sie
stand auf. »Darf ich Ihnen Robin für ein paar Minuten
entführen, Court?«
»Gern«, antwortete Court.
Robin begleitete sie ins Haus. »Ich will Ibrahim Sabrys
Zimmer durchsuchen, Robin. Könnten Sie mir seine Tür
aufschließen?«
Er sah sich rasch nach Sabry um, der im Garten saß. »Das ist
eine Schnapsidee.«
Sie blieb hartnäckig bei ihrem Plan. »Wer weiß, ob sich eine
solche Gelegenheit ein zweitesmal bietet, Robin. Der
Nachmittag ist mild, der Tee wird bald serviert werden, und
Sabry macht einen sehr beschäftigten Eindruck. Ich muß wissen,
ob er wirklich nicht gehen kann. Vielleicht finde ich Schuhe mit
abgetretenen Absätzen, oder einen Schnappschuß, oder
vielleicht sogar Blut an seinem Anzug, falls er gestern nacht
unten war. Beeilen Sie sich, Robin!«
»Wie Sie wollen«, seufzte er. »Nehmen Sie den Fahrstuhl, wir
treffen uns oben.« Er nahm die Treppe und Mrs. Pollifax den
Fahrstuhl. In der dritten Etage stieg sie aus und wartete. Kurz
darauf war Robin bei ihr. »Ich bin dagegen«, sagte er gereizt,
»und ich bestehe darauf, Sie zu begleiten.«
»Kommt gar nicht in Frage. Sollte mir etwas zustoßen, dann
sind Sie der einzige, der über meinen Verbleib Bescheid weiß.« Seine Lippen wurden schmal. »Dann bleibe ich auf seinem
Balkon und werde erst wieder Luft holen, wenn Sie sein Zimmer verlassen haben. Himmel noch mal, begreifen Sie denn nicht, daß ich nicht angeregt im Garten plaudern kann, wenn ich weiß, daß Sie in seinem Zimmer sind? Schließlich sind Sie ein blutiger
Laie!«
Da sie auf seine Mithilfe angewiesen war, sagte sie: »Also
gut, dann bleiben Sie auf dem Balkon.« Da sich auf dem Flur
nichts rührte, konnten sie ungestört an die Arbeit gehen. Robin
machte sich an das Schloß von Nummer 152, die Tür öffnete
sich, und sie betraten Sabrys Zimmer.
»Und jetzt machen Sie sich unsichtbar«, sagte sie.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, schloß er ihr auch noch
die beiden Türen des mächtigen Kleiderschranks auf. Dann warf
er ihr eine Kußhand zu und verschwand auf dem Balkon. Nun war es still im Zimmer. Mrs. Pollifax sah sich um. Zuerst
kramte sie im Schreibtisch, der mehrere Papiere in arabischer
Sprache enthielt. Sie fand kein Foto. Sie machte sich an die
rechte Schrankhälfte und untersuchte die Anzüge, aber es fanden
sich weder Blutspuren noch Schuhe. Dafür entdeckte sie einen
Koffer, der ihrer Schätzung nach etwa zwanzig Pfund schwer
sein mochte. Am Koffergriff baumelte ein Kärtchen: YAZDAN
IBN KASHAN. Darunter war mit Bleistift eine Adresse notiert:
Suite 1-A, Hotel Montreux Palace, Montreux, Suisse. Dort
würde also der Scheich übernachten und um sechs Uhr den
Koffer hier abholen: ohne Zweifel ein äußerst kostbares
Gepäckstück, denn es war mit mehreren Sicherheitsschlössern
versehen. Doch Sabry war im Moment wichtiger. Der Koffer
konnte warten. Sie ging an die linke Schrankhälfte und öffnete
die Tür.
Marcels Leiche, deren obere Hälfte in einer
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