macht weiter
Polizeisirene zu
heulen.
13
»Chillon wurde bereits in der Bronzezeit und später von den Römern besiedelt«, erläuterte der Führer. »Die alte Römerstraße von Italien über den Großen St. Bernhard wurde zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts verbreitert. Castel Chillon wurde erbaut, um den schmalen Paß zwischen dem See und den Bergen zu überwachen.«
»Hoffentlich gibt es Verliese«, sagte Hafez.
Sie standen mit einer Touristengruppe im Hof. Mrs. Pollifax beobachtete Fouad. Er sah verdrossen und gelangweilt vor sich hin, offenbar weil er einen Jungen und eine Frau zu behüten hatte. In einer Hand hielt er den Koffer, die andere hatte er in der Tasche, um den Revolver griffbereit zu haben. Ungeduldig trat er von einem Bein aufs andere.
»Sind hier Verliese?« fragte Hafez.
Brummig drückte Fouad ihnen Plan und Prospekte der Burg in die Hand, die kostenlos am Eingang verteilt worden waren.
Mrs. Pollifax meinte den Grund seiner üblen Laune erraten zu haben. Wahrscheinlich hatte er gehofft, sie könnten die vereinbarte Dreiviertelstunde irgendwo im Sitzen abwarten, aber es war Sonntag, und die wenigen Bänke im Hof waren besetzt. Er hatte ganz richtig gefolgert, daß er sie am sichersten vom Gros der Touristen absonderte, indem er sich einer Führung anschloß. Sie hätten der Führung in einem knappen Abstand zu folgen und dürften mit niemandem sprechen, hatte er Hafez befohlen, und der hatte die Anweisung für Mrs. Pollifax übersetzt.
»Ja, es gibt Verliese«, stellte Hafez anhand des Planes fest, »aber noch nicht gleich. Sie liegen am Ende der unterirdischen Gewölbe.« Unschuldig sah er zu Mrs. Pollifax auf. »Ist es nicht großartig, daß hier Verliese sind?«
»Großartig«, bestätigte sie und überlegte, ob er wohl dasselbe im Sinn haben mochte wie sie. Du mußt warten, versuchte sie ihm mit einem kurzen Blick zu sagen.
Sie gelangten in ein Kellergewölbe mit alten, hohen Säulen. »Die Waffenkammer«, las Hafez aus seiner Broschüre vor. Die Außenmauern hatten Schießscharten; man befand sich hier direkt am See. Man hörte sein Wasser deutlich gegen die Mauern schlagen. »Jetzt kommen wir in den Kerker«, verkündete Hafez.
»Dieser Raum wurde im dreizehnten Jahrhundert umgebaut und mit einer gewölbten Decke versehen. Im vierzehnten Jahrhundert weilte Bonivard, der Prior des St.-Viktor-Klosters, in diesem Kerker. Vier Jahre lang schmachtete er hier, mit Ketten an diese Säule gefesselt.«
Wie schrecklich, hier vier Jahre lang vegetieren zu müssen, dachte Mrs. Pollifax. Aber ihre Lage und die des Jungen war nicht minder verzweifelt. Sie sah auf die Uhr. Es war fünf Minuten vor halb fünf. Sie waren seit zwölf Minuten in der Burg. Um fünf Uhr würde Fouad sie wieder zu Sabry bringen. Zur gleichen Zeit wurde auch die Burg geschlossen. Hafez erwiderte ihren Blick und sagte rasch: »Jetzt kommen wir in den zweiten Hof und dann in den großen Saal des Landvogts.«
Sie begriff, daß er ihr Möglichkeiten anbot, aber leider ließ sich damit nichts anfangen. Sie wußte, daß solche Gruppen schwerfällig waren, langsam auf unerwartete Situationen reagierten und zumeist aus Leuten bestanden, die sich nicht gern aus ihrer Beschaulichkeit reißen ließen. Fouad hatte das einkalkuliert. Von diesen Touristen war keine Hilfe zu erwarten. Und was eine eventuelle Flucht betraf, so konnte Hafez vielleicht schneller laufen als Fouad, aber Mrs. Pollifax konnte das nicht. Im Augenblick hatte Fouad sämtliche Trümpfe in der Hand: einen Revolver und eine Gruppe Fremder.
Hafez sah sie enttäuscht an. Er konnte nicht wissen, daß sie plötzlich eine Chance sah. Ein kleines Wunder hatte sich ereignet. Ihre Fahrt ins unheilvolle Unbekannte war unterbrochen worden, und sie sah nicht ein, warum sie sich wieder zu Sabry zurückschleppen lassen sollten wie die Lämmer zur Schlachtbank. Zwar hatte sie noch keinen konkreten Plan, aber das Warten störte sie nicht. Fouad hingegen langweilte sich mehr und mehr.
Sie stiegen über eine schmale Holztreppe ins nächste Geschoß. Man besichtigte den Rüstungssaal, die Fürstengemächer und schließlich eine Kapelle, wo sie sich kurz aufhielten, ehe sie in den Festsaal gelangten. »Jetzt Gerichtssaal genannt«, las Hafez aus seiner Broschüre vor. »Im Mittelalter fanden hier die Empfänge und Bankette statt. Die Gobelins sind aus dem dreizehnten Jahrhundert, Kamin und Decke aus dem fünfzehnten.«
Der Saal war groß und hoch. Am meisten war Mrs. Pollifax vom Seeblick
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