Machtkampf
Zerrbilder, wurden von einer Mischung aus Erschöpftheit und wilden Ängsten aufgewühlt und drängten die Realität immer weiter zurück. Er musste husten und sich erbrechen. Sein Puls raste, ihm war, als habe ihm jemand eine Faust in die Magengrube gerammt.
Was ihm dann jedoch Franziska beim Frühstück schonend beibrachte, ließ ihn vollends im tristen Grau seiner depressiven Gedankenwelt versinken. In den Regionalnachrichten war über einen Großbrand in Rimmelbach berichtet worden, bei dem man die verkohlte Leiche eines sechsjährigen Buben gefunden habe.
Kugler setzte die Kaffeetasse, die er gerade zum Mund hatte führen wollen, wieder ab. »Ein sechsjähriger Bub?« Seine Stimme war schwach.
Franziska nickte ernst. »Ich hab die Rosi angerufen.« Gemeint war die alte Mesnerin, mit der sie noch immer ein vertrauensvolles Verhältnis hatten.
»Es ist also Manuel?«, fragte Kugler leise, als wolle er gar keine Antwort hören.
Franziska nickte wieder. »Das Haus ist vollständig niedergebrannt. Gegen halb eins heute Nacht.«
»Und Frau Kowick?« Kugler schloss sekundenlang die Augen.
»Sie war zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause, sagt Rosi.«
»Um halb eins in der Nacht? Und Manuel war dann also allein daheim?«
»So hat Rosi es gehört.«
»Und wo war Frau Kowick um diese Zeit?«
»Man sagt, sie sei bei Frau Mompach gewesen«, berichtete Franziska kopfschüttelnd. »Aber das können natürlich auch nur Gerüchte sein.«
»Die Kowick bei der Mompach?«, staunte Kugler. »Und der Mompach? Wo war der?«
»Im Urlaub. Er ist laut Rosi gestern oder vorgestern geflogen.«
Kugler versuchte, das Gehörte in die Ereignisse der vergangenen Wochen einzuordnen. Wie würde sich dies alles auf seinen Fall auswirken?
»Du hast das heute Nacht gar nicht mitgekriegt?«, riss ihn plötzlich die Frage seiner Frau aus seinen quälenden Gedanken. »Im Radio hat’s geheißen, dass die Feuerwehren aus weitem Umkreis im Einsatz gewesen sind.«
»Wie? Ich? Wieso sollte ich?«
»Du bist doch wieder ziemlich lang unterwegs gewesen. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, wo du sein könntest.«
Kugler sah sich mit einem Schlag einer weiteren unheimlichen Bedrohung gegenüber. Franziska hatte die Frage sicher nicht so gemeint, wie er sie auffasste. Aber was seine Frau da ansprach, das würde auch andere stutzig machen. Und sie würden noch weitergehen und fragen, ob es für ihn nicht sogar von Vorteil sei, dass ihn Manuel nun nicht mehr belasten könne …
Mompach hatte das braune Kuvert, das unter seiner Appartementtür durchgeschoben worden war, vorsichtig mit der Klinge seines Taschenmessers aufgeschlitzt. Er zog das zweimal zusammengelegte weiße Blatt heraus und faltete es vorsichtig auseinander. Mit schwarzem Filzstift waren nur wenige Worte notiert: »Morgen umziehen in Hyatt Regency Resort Hotel, Zimmer 2214 reserviert. Summe bereithalten.«
Mompach hatte sich auf das Bett gesetzt und las die Worte ein zweites Mal. Hotel Hyatt Regency Resort. Der Name war ihm ein Begriff. Es befand sich am Ende jener Nebenstraße, an der an drei Tagen der Woche ein Nachtmarkt stattfand. Dort, wo er schon viele Male landestypische Köstlichkeiten gegessen hatte. Auch dies konnte darauf hindeuten, dass der Erpresser über ihn und seine Gepflogenheiten genau Bescheid wusste.
Mompach musste sich eingestehen, dass es nur noch die Flucht nach vorne gab. Ein Zurück konnte er sich nicht leisten. Dafür war er schon viel zu weit gegangen.
Er blieb ein paar Minuten regungslos sitzen und spürte seinen rasenden Puls.
Was hat diese Anweisung zu bedeuten?, quälte ihn eine innere Stimme. Warum gerade ein Hotel? Wollte man ihn in eine fremde Umgebung locken – dorthin, wo er sich nicht so heimisch fühlte wie in dieser Appartementanlage?
Steckte doch jemand dahinter, der auch hier wohnte und deshalb in der Anonymität eines Hotels untertauchen wollte?
Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Meinung über Nacht geändert. Auch die Polizeidirektion Göppingen hielt es für erforderlich, eine Sonderkommission aufzustellen, die im Backsteinhaus der Geislinger Kriminalaußenstelle hastig in zwei Räumen untergebracht wurde. Dort war inzwischen Vanessa bereits damit beschäftigt, die Akten der letzten Wochen herauszusuchen. Während Häberle einem halben Dutzend Kollegen die Situation erläuterte, winkte Vanessa Linkohr zu sich her. Der junge Kriminalist setzte sich neben seinen Schwarm und lächelte. Vanessa jedoch ignorierte seine vorsichtigen
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