Machtkampf
Offenheit. »Ziel- und planlos? Mitten in der Nacht?«
»Mir ist klar, dass dies ziemlich verrückt klingt. Aber seit ich nachts nicht mehr schlafen kann, bin ich oft unterwegs.« Er wartete vergeblich auf eine Reaktion Häberles. »Nachts allein«, bekräftigte er sein Gesagtes. »Auf einsamen Straßen quer über die Alb. Und manchmal steige ich aus, wie vergangene Nacht in Ochsenwang. Dann gehe ich auf einen Aussichtspunkt und schaue mir die funkelnden Lichter an – und über mir den Sternenhimmel. Da bin ich dann unserem Schöpfer ganz nah.«
»Das kann ich durchaus nachvollziehen«, zeigte Häberle Verständnis.
»Ganz nah bin ich ihm dann«, wiederholte Kugler. »Solche Momente sollten wir alle uns viel öfter gönnen, Herr Häberle. Denn vielleicht sind wir dem Schöpfer schon näher als wir denken.«
Häberle überlegte, ob die Worte nur so dahingesprochen waren oder ob sich hinter ihnen eine Botschaft verbarg.
»Da haut’s dir ’s Blech weg«, kommentierte Linkohr auf der kurzen Fahrt von Böhmenkirch nach Rimmelbach, was Timo Mompach von sich gegeben hatte. »Da hat er recht«, fügte er an und schielte zu Vanessa auf dem Beifahrersitz, »wenn das rauskommt, gibt’s in Rimmelbach einen handfesten Skandal. Und es wird rauskommen, das lässt sich gar nicht vermeiden.«
Vanessa grinste vielsagend. »So was kommt immer raus, Mike. Seitensprünge lassen sich nie geheim halten, auch wenn ihr Männer das glaubt.«
Linkohr brauchte sich dazu nicht mehr zu äußern, denn sie hatten bereits den vergammelten Hof von Arnold Kowick erreicht.
Trotz der überraschenden Neuigkeit, die ihnen Timo Mompach schließlich eröffnet hatte, hatten sie sich noch telefonisch bei dem Vater des getöteten Kindes angemeldet. Er öffnete ihnen kreidebleich die Tür und führte sie wortlos in sein Wohnzimmer. Die beiden Kriminalisten sprachen ihm ihr Beileid aus und baten um Verständnis für den Besuch. »Wie geht es Ihrer geschiedenen Frau?«, fragte Vanessa einfühlsam, während sie sich setzten.
»Nicht gut«, erwiderte Arnold, dessen Gesicht unrasiert war. »Und mir auch nicht«, fügte er bitter an. »Man hat sie ins Christophsbad gebracht.«
Vanessa wusste Bescheid. Es war die weithin bekannte psychiatrische Klinik in Göppingen.
»Wir hoffen, die Brandursache so schnell wie möglich aufklären zu können«, gab sich Linkohr zurückhaltend, um dann jedoch ohne weitere Vorrede auf den Kernpunkt zu kommen: »Manuel war meines Wissens ein motorisch unruhiger Bub.«
Arnold Kowick überlegte kurz. »Hyperaktiv und dazu schwierig. Man nennt das ADS-Syndrom.«
»Er hatte wohl mit der Einschulung im September gewisse Probleme«, gab Vanessa zu bedenken.
»Probleme, ja. Erst recht, als die Sache mit dem Pfarrer …«
»Damit möchten wir Sie heute nicht behelligen«, wehrte die junge Polizistin ab. »Wir versuchen uns nur vorzustellen, wie so ein Sechsjähriger reagiert, wenn er nachts allein zu Hause ist.«
»Sie wollen Sandra vorwerfen, dass sie …«, empörte er sich.
»Nichts vorwerfen«, fiel ihm Linkohr ins Wort. »Aber um herausfinden zu können, was möglicherweise geschehen ist, müssen wir wissen, ob es der Bub gewohnt war, nachts allein gelassen zu werden.«
»Das war er sicher«, entgegnete Kowick. »Sandra musste oft spätabends noch arbeiten. Sie schmeißt doch dem Mompach seinen Bauernhof fast allein – zusammen mit der Linda Mompach. Sie sehen ja, der Alte reist in der Weltgeschichte rum und die beiden Frauen rackern sich daheim ab.«
»Hat denn Ihre Frau – Ihre ehemalige Frau – ein gutes Verhältnis zu Frau Mompach?«, fragte Vanessa.
»Wenn’s der Alte nicht bemerkte, dann ja. Er will nämlich nicht, dass die ›Hofherrschaft‹, wie er immer sagt, ein freundschaftliches Verhältnis zum Personal hat. So sei das schon immer gewesen – hier auf dem Land.«
»Dann war es also eine Seltenheit, dass sich die beiden Frauen trafen«, stellte Vanessa fest.
»So kann man das wohl sagen. Die haben sich nur heimlich getroffen.«
»Und gestern Abend also die Gelegenheit dazu genutzt«, ergänzte Linkohr zusammenfassend.
»Das denke ich mal«, bestätigte Kowick.
»Sie als Vater haben aber den Kleinen eher selten gesehen?«, hakte sie nach, obwohl sie die Antwort von dem vorausgegangenen Besuch bereits kannte.
»So ist es leider. Hätte sie mich gebeten, auf Manuel aufzupassen, wäre es nicht zu dem gekommen, was gestern passiert ist.«
»Kam das denn manchmal vor – dass sie Sie gefragt
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