Machtkampf
Hartmann aufgehalten«, stellte Linkohr ruhig fest.
»Hochsitz!«, echote sie abschätzig. »Glauben Sie denn wirklich, dass man so ein riesiges Ding braucht, um Wildsäue zu schießen?«
»Nicht?«, staunte Vanessa gekünstelt. »Wozu denn dann?«
»Um ungestört saufen zu können«, gab sich Frau Mompach überzeugt. »Saufgelage. Nichts weiter als Saufgelage.«
Linkohr und Vanessa wollten nichts dazu sagen.
Häberle war zur Sonderkommission zurückgekehrt und hatte dem halben Dutzend Kollegen von seinen Eindrücken berichtet. Dann zog er sich in das kleine Büro zurück, das ihm in der Geislinger Kriminalaußenstelle zur Verfügung stand. Er musste dringend mit dem diensthabenden Staatsanwalt telefonieren, was sich an einem Sonntagabend als nicht einfach erwies. Schließlich bekam er ihn an die Strippe, bemerkte aber gleich am Klang der Stimme, dass er auf keine allzu große Begeisterung stieß. Häberle erklärte, dass möglicherweise zwischen dem nächtlichen Brand und dem Verschwinden eines jungen russisch-stämmigen Mannes ein Zusammenhang bestehen könnte. Als er jedoch erwähnte, dass Igor Popow angeblich bereits am Donnerstag sein Haus verlassen habe, also zwei Tage vor dem Brand, verlor sich das eingangs gezeigte Interesse des Staatsanwalts wieder. »Sie müssen mir schon erklären, wie das zusammenpasst.«
»Erstens«, begann Häberle leicht gereizt, »wissen wir nicht, ob er tatsächlich am Donnerstag abgereist ist, zweitens war er ein enger Mitarbeiter von Hartmann, der sich nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft selbst erschossen hat, und drittens habe ich den starken Verdacht, dass dieser Igor im Rotlichtmilieu kräftig mitmischt. Das sollten wir zum Anlass nehmen, ihn mal eingehend unter die Lupe zu nehmen.«
»Rotlichtmilieu«, kam es desinteressiert zurück, was Häberle auf die sonntagabendliche Stunde zurückführte, »Sie wollen damit aber nicht sagen, dass die Angelegenheit keinen Aufschub bis morgen duldet?«
Häberle berichtete von der jungen Frau, die er in Igors Wohnung angetroffen hatte und der er die Behauptung, nur Touristin oder Studentin zu sein, nicht abnehme.
»Sie wird dort auch morgen noch vorzufinden sein«, meinte der Staatsanwalt genervt. »Oder wollen Sie ›Gefahr im Verzug‹ geltend machen?« Häberle war klar, dass er auf keinerlei Unterstützung hoffen konnte. Nicht jetzt, am Sonntagabend.
»Ich schlage vor, Sie bereden die Angelegenheit morgen früh mit dem zuständigen Sachbearbeiter. Bis dahin liegen dann sicher auch die ersten Ergebnisse der Brandsachverständigen vor. Und die Sache ›Hartmann‹, so habe ich den Akten entnommen, ist doch bereits vor über einem Monat abgehandelt worden.« Der Staatsanwalt, den Häberle schon vor geraumer Zeit als jung und unerfahren taxiert hatte, hielt kurz inne, um dann energisch anzumerken: »Sie sollten sich davor hüten, einen jungen Mann nur deshalb in einen Generalverdacht zu nehmen, weil er ein Migranten-Nachkömmling ist. Ich glaube, damit ist für heute alles gesagt. Gute Nacht.« Er legte auf.
Häberle warf den Hörer wütend in die Schale. Unglaublich, was sich die jungen Juristen heutzutage anmaßten. Dabei hatten sie doch keine Ahnung, wie es draußen ›an der Front‹ zuging, wie er es oft genug beklagte. Musste er, der ein Praktiker war wie kaum ein anderer, sich von diesen jungen Schnöseln herumkommandieren lassen? Immer häufiger spürte er, wie in solchen Situationen der Gedanke an den Ruhestand aufkam. Vielleicht würde er sich eines Tages mit einem Anwalt zusammentun und für dessen Mandanten knifflige Fälle lösen, ganz privat, ohne in das enge Korsett der Hierarchien von Polizei und Staatsanwaltschaft gepresst zu sein, ohne auf politische Befindlichkeiten achten zu müssen. Die Vorstellung, als freier Ermittler tätig sein zu können, auch unbürokratisch über Ländergrenzen hinweg, dazu noch ziemlich unkonventionell, nahm immer konkretere Formen an, je mehr er die heutige Systematik der Arbeitswelt als überdreht und praxisfern empfand.
Er saß ein paar Minuten in sich versunken da, ließ den Ärger über die Staatsanwaltschaft verrauchen und kam in das große Büro zurück, in dem sich die Kollegen der Sonderkommission über die neuesten Erkenntnisse zur Brandursache unterhielten. Zwei Experten des Landeskriminalamts hatten in dem Ascheschutt nicht nur eine Vielzahl von Kupferdrähten gefunden, deren Isolation vollständig geschmolzen war, sondern auch die verkohlten Überreste eines
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