Machtkampf
Hartmanns war es einfach gewesen, den angeblich weltweit agierenden Geschäftsmann zu mimen. Hartmann war gewandt und erfahren genug, um auch unübersichtliche Situationen zu bewältigen. Doch er, der eher provinzielle Landwirt von der Schwäbischen Alb, war im Grunde seines Herzens bodenständig geblieben. Ohne Hartmann wäre er nie in die weite Welt hinausgekommen, doch sein Jagdgenosse hatte ihm gezeigt, dass man das ganz große Geld nicht mit landwirtschaftlicher Arbeit verdiente, sondern mit Handelsgeschäften und Vermittlungstätigkeiten. »Du musst mit dem Mausklick Geld machen«, hatte er immer wieder gesagt und damit zum Ausdruck gebracht, dass er per Computer lukrative Geschäfte einfädelte. Nicht alles, was Hartmann dabei anzettelte, konnte Mompach gutheißen, aber die Beteiligung an der einen oder anderen zweifelhaften Sache hatte auch ihm immense Summen eingebracht. Geld, von dem weder das deutsche Finanzamt noch seine Frau Linda etwas wussten. Sie hatten eine Zeit lang auf sehr großem Fuß leben können und in Immobilien investiert, die zumindest bis zur großen Finanzkrise höchst profitabel gewesen waren. Doch dass Hartmann noch im vergangenen Jahr auf eine spekulative Anlage auf Zypern gesetzt hatte, brachte ihn in den letzten Monaten seines Lebens in eine finanzielle Schieflage. Aber darüber hatten sie gar nicht mehr gesprochen, denn die Sache mit Karin war der Supergau gewesen, der ›größte anzunehmende Unfall‹, wie es in der Sprache der Kernkraftgegner geheißen hätte. Mehrfach hatten sie sich geschworen, sich mit ihren Frauen- und Bettgeschichten nicht in die Quere zu kommen. Niemals. Hartmann war sogar derjenige gewesen, der darauf allergrößten Wert gelegt hatte – insbesondere natürlich im heimischen Umfeld. Darin waren sie sich einig, denn auch Mompach hätte als angesehener Bürger Rimmelbachs nichts weniger brauchen können als einen Skandal.
In einem kleinen Dorf wurden Seitensprünge oder gar noch schlimmere Eskapaden nicht verziehen. Heile Welt war da angesagt, obwohl es bei näherem Betrachten nicht anders zuging als in einer Großstadt, wo man in der Anonymität eines Wohnblocks abtauchen konnte. Mompach kannte diese Scheinheiligkeit und war sich bewusst, selbst zu jenen zu gehören, die diese zur Schau trugen.
Aber, verdammt noch mal, so dachte er sich, während sein Blick ins Leere ging, niemand konnte ihm doch verdenken, wenn er gelegentlich aus dieser heilen Welt ausbrach – einer Welt, die für ihn immer sehr klein gewesen war, nachdem er den Hochsträßhof von den Eltern frühzeitig hatte übernehmen müssen. Dass er Linda traf, diese herzensgute Frau, die bereit gewesen war, einen Bauern zu heiraten, das empfand er noch immer als Glücksfall. Unter keinen Umständen wollte er dies alles aufs Spiel setzen – und er war sich auch keiner Schuld bewusst gewesen, wenn er mit Hartmann großspurig das süße Leben genoss. Es waren für ihn nicht wirklich Seitensprünge, sondern Vergnügen und Spaß, einfach halt ›Events‹, wie man heutzutage sagte.
Er musste für einen Moment an Timo denken. Der einzige Sohn war mit diesem Leben auf dem Bauernhof nicht zurechtgekommen. Vielleicht hatte er ihn auch allzu sehr darauf getrimmt, sein Nachfolger zu werden. Dazu bedurfte es eines ausgeprägten Ordnungssinns, Zielstrebigkeit, Ausdauer und äußerster Disziplin – alles Eigenschaften, die Timo nicht in die Wiege gelegt worden waren. Mit Müh und Not hatte er die Hauptschule durchgestanden, sich dann aber strikt geweigert, die Berufslaufbahn eines Landwirts einzuschlagen. Dabei wären die Voraussetzungen bestens gewesen, dachte Mompach. Der Betrieb hatte die richtige Größe, um auch künftige Herausforderungen der Agrarwirtschaft zu bestehen. Aber Timo scheute die Arbeit und schlug alle Warnungen in den Wind: Dass er ohne vernünftige Ausbildung künftig zu den Verlierern der Gesellschaft zählen werde, dass er langfristig nicht mal auf eine Rente vertrauen könne und dass er niemals gesellschaftliches Ansehen gewinnen werde. All dies scherte Timo nicht. Einmal hatte er sogar im Zorn gesagt, er werde den Hof – wenn er ihn erbe – ohnehin eines Tages verkaufen und sich nach Südfrankreich absetzen. Was für ein Dummkopf!, dachte Mompach. Wer würde ihm denn später einmal dieses landwirtschaftliche Anwesen auf der kargen Albhochfläche für so viel Geld abkaufen, dass er vom Erlös nie mehr würde arbeiten müssen. Eurokrise, Teuerungsraten, höhere Steuern,
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