Machtkampf
tun würden, wenn das Gutachten über Manuel keinen Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit ließ.
Dieter war nahe dran gewesen, alles aufzugeben. Sie verfolgte mit großer Sorge, wie sich sein psychischer Zustand gewandelt hatte. Innerhalb eines Monats war aus einem selbstbewussten, agilen und optimistisch gestimmten Menschen ein körperliches und seelisches Wrack geworden. Von Tag zu Tag schwanden Lebensfreude und Zuversicht mehr. Nie hätte sie gedacht, dass Dieter jemals Zweifel an Gott haben würde. Doch so sehr er sich anfangs bemüht hatte, dem Sog des Höllenstrudels zu entgehen, es schien ihn immer weiter nach unten zu ziehen. Und wenn jetzt das Gutachten tatsächlich schlecht für ihn ausgefallen war, würde er den Glauben an einen gerechten Schöpfer vollends verlieren. Womöglich, so durchzuckte es Franziska Kugler, kamen die Juristen sogar noch auf die Idee, ihm den Brand anzuhängen. Schließlich hatte er für die besagte Nacht tatsächlich kein Alibi. Dafür aber allen Grund, das Kind zu beseitigen. Mit einem Schlag wurde sich Franziska des Ausmaßes der Gefahr bewusst, in die ihr Mann geraten war. Bisher hatten sie immer noch gehofft, es werde schon nicht so schlimm kommen. Aber wenn nun der allerschlimmste Fall eintrat …?
Nachdem Frau Mompach wieder gegangen war, wurde Häberle im großen Raum der Sonderkommission mit einer Neuigkeit der Computerexperten konfrontiert. Diese hatten inzwischen die Festplatte von Igors Rechner flüchtig durchgeschaut und die Dateien per Suchlauf nach den Namen aus dem Rimmelbacher Umfeld überprüft. Dass dabei unzählige Male Max Hartmann auftauchte, erstaunte die Ermittler nicht. Aber ein anderer Name hatte unerwarteterweise mehrere Treffer erbracht.
»August, du wirst es nicht glauben, wen der Russe in seiner Kiste hatte«, begann der Kriminalist, dem es mithilfe des Landeskriminalamts gelungen war, das Zugangspasswort von Igors Computer zu knacken.
»Du wirst es mir gleich sagen«, erwiderte Häberle, der sich wieder an den Türrahmen gelehnt hatte.
»Stefanie Marquart«, löste der andere die Spannung auf. »Die schöne Witwe von unserem Karfreitagsselbstmörder. Du entsinnst dich?«
»Oh«, staunte der Chefermittler, »und was hatten die beiden miteinander zu tun?«
Linkohr und Vanessa tuschelten sich etwas zu.
»Es sieht danach aus«, fuhr der Computerexperte fort, »als ob sich die Stefanie seit einigen Wochen ein Zubrot verdient hat.«
»Du meinst doch nicht etwa …?«
»Nein, nicht ganz so extrem. Aber unser Freund Igor und sein verblichener Chef Hartmann haben wohl nicht nur im großen Stil mit Anabolika gehandelt, sondern auch so etwas Ähnliches wie einen Begleitservice betrieben – vermutlich sogar bundesweit. Aber Näheres kann ich dir jetzt noch nicht sagen.«
»Begleitservice?«, entfuhr es Linkohr. Er hatte zwar schon mal etwas davon gehört, aber an Details konnte er sich nicht mehr erinnern.
Vanessa half ihm und den anderen auf die Sprünge: »Vermittlung von Frauen für besondere Anlässe. Wenn der gut situierte Herr eine attraktive Begleiterin braucht, um sich beispielsweise bei Geschäftsessen oder anderen Anlässen in ein positives Licht rücken zu können. Oder auch nur, um nicht allein tanzen gehen zu müssen.« Vanessas Erklärungen klangen wie die Vorlesung einer Dozentin an der Polizeihochschule. »Die Honorare orientieren sich natürlich an den Bedürfnissen der Herren.« Sie verzog ihr Gesicht zu einem sanften Lächeln. »Und sie orientieren sich auch am Alter und Aussehen der ›gemieteten‹ Dame.« Sie warf Linkohr einen strengen Blick zu.
»Und da war die Stefanie Marquart sozusagen im Angebot?«, hakte einer der Ermittler nach.
»Sie und – überschlägig betrachtet – mindestens 150 Damen aus ganz Deutschland und Österreich, aber wohl auch aus Tschechien und Polen«, erwiderte der Experte.
»Ist übrigens nicht generell verboten«, mischte sich Vanessa wieder ein. »Wenn die Damen volljährig sind, freiwillig diesen Job machen und entsprechend als Arbeitnehmerinnen angemeldet sind, gibt es aus rechtlicher Sicht nichts einzuwenden. Und von der moralischen Seite sprechen wir lieber nicht.« Vanessa runzelte ihre Stirn. »Wenn so was in diesem etwas – na, sagen wir mal – zweifelhaften Milieu angeboten wird, könnte man auch von Sklavenhandel sprechen. Oft nämlich locken die Anbieter solcher Dienste die sozial Schwachen mit wundersamen Versprechungen. Dahinter steckt nichts weiter als die langsame
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