Machtkampf
Hitzewallung bemächtigte sich seines ganzen Körpers, als habe er Fieber und überhöhten Blutdruck gleichermaßen. Die Bedienung schien dies zu bemerken und sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue auffordernd an. »Sie heißen Mompach?«, flüsterte sie noch einmal, als dürfe dies niemand außer ihrem geschockten Gast hören.
Er nickte und presste ein »Ja« hervor. Die Frau lächelte und legte ihm so unauffällig wie möglich ein braunes Kuvert auf den Tisch, das hinter ihrer Geldtasche versteckt gewesen war.
»Hat andere Gast abgegeben für Sie«, flüsterte sie und verschwand hastig hinter der Theke.
Mompach saß bewegungslos und starrte auf das unbeschriftete Kuvert, als enthalte es giftige Substanzen. Seine Gedanken projizierten ihm wirre Szenarien, der ganze Körper rebellierte. Trotzdem versuchte er, nach außen hin gelassen zu wirken. Er legte die Rechnung mit zitternden Fingern zusammen und steckte sie in die Brusttasche seines schweißnassen Hemdes. Dann blickte er sich um, doch keiner der noch anwesenden Gäste zeigte offenbar Interesse an ihm. Allerdings trafen seine Augen unerwarteterweise auf einen leeren Platz: Der einzelne Mann im T-Shirt war weg. Und er hatte nicht einmal sein Glas Wasser ausgetrunken.
Mompachs Blick haftete sekundenlang an dem Platz. Der Mann musste gegangen sein, während die Bedienung die Sicht zu ihm verdeckt hatte.
Mompach griff zu dem Kuvert. Nachdem ihn offenbar niemand beobachtete, riss er es vorsichtig auf. Wieder kam ein zusammengefaltetes weißes Blatt Papier zum Vorschein. Mompach sah sich noch einmal prüfend um und spürte seinen rasenden Puls als klopfenden, dumpfen Schmerz im Kopf. Er faltete das Papier auseinander und war von einem aufgedruckten Farbfoto irritiert. Denn das Motiv, das die gesamte untere Hälfte des Blattes einnahm, war ihm wohl vertraut. Das Foto zeigte das Geisterhaus, das neben seinem Liegestuhl stand. Eindeutig. Nahezu dieselbe Perspektive, die sich ihm aus seiner Liegeposition heraus geboten hatte. Aufgenommen am helllichten Tag.
Mompachs Aufregung drohte in Panik umzuschlagen. Er las, was in roten Großbuchstaben über dem Foto stand: ›Hier morgen 23 Uhr Geldtasche ablegen.‹ Ein schwarzer Pfeil deutete auf den Sockel des Geisterhauses.
Wie gebannt starrte Mompach auf das Objekt, das ihm bereits bekannt war. Erst dann wurde ihm der Text auf der oberen Hälfte des Blattes bewusst. In schwarzer Schrift und ohne Punkt und Komma, alles in Kleinbuchstaben getippt, stand: ›500 000 in 50-dollarscheinen morgen um 23 uhr – du gehst auf balkon von dein zimmer und bleibst eine stunde dort stehen – wenn nicht zahlen oder nicht auf balkon stehen wird in deutschland alles bekannt – keine tricks und keine polizei ist klar – dies letzte Nachricht.‹
Mompach wurde es schwarz vor Augen.
21
Franziska Kugler war beunruhigt. Ihr Mann hatte nach dem Termin mit Rechtsanwalt Jürgen Schaufler nichts von sich hören lassen. Zum wiederholten Male wählte sie seine Handynummer, doch teilte ihr die Automatenstimme jedes Mal mit, dass der Anschluss vorübergehend nicht erreichbar sei.
Franziska Kugler legte auf und sah auf die Uhr: 13.05 Uhr. Es war ziemlich unwahrscheinlich, dass das Gespräch in der Kanzlei so lange dauerte. Sie griff zum Telefonbuch, um nach dem Namen des Anwalts zu suchen und die Nummer in das Gerät zu tippen. Nach drei Freizeichen meldete sich auch dort nur der Automat: Die Kanzlei habe Mittagspause und sei erst wieder um 13.30 Uhr zu erreichen. Frau Kugler legte den Hörer zurück.
Zwar hatte sie sich längst damit abgefunden, dass ihr Mann die Einsamkeit suchte und insbesondere nachts weite Strecken zurücklegte. Aber tagsüber war dies in letzter Zeit so gut wie nie vorgekommen. Seit sie in Halzhausen wohnten, lebte er völlig zurückgezogen. Manchmal hatte sie den Eindruck, er sei licht- und menschenscheu geworden und wage sich deshalb nur noch im Schutz der Dunkelheit aus dem Haus.
Jetzt jedoch war helllichter Tag. Sie versuchte, sich mit ähnlichem Verhalten ihres Mannes aus jüngster Vergangenheit zu trösten. Als vor einem Monat die Anschuldigungen bekannt geworden waren, hatte er sich einen Nachmittag lang angeblich im Donauried bei Langenau aufgehalten. Vielleicht würde er es jetzt wieder tun – falls die Nachrichten, die ihm der Rechtsanwalt überbracht hatte, so vernichtend waren.
Seit Wochen hatten sich alle ihre Gespräche nur um dieses eine Thema gedreht – vor allem aber um die Frage, was sie
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