Machtkampf
Wache machte. Brühl wirkte trotz ergrauter und dünner Haare jugendlich, sportlich und gepflegt. Der Oberlippenbart war exakt gestutzt, die Kleidung leger. Tanzen hält wohl jung, dachte Häberle und überlegte, wann er zuletzt mit Susanne tanzen gewesen war. Es fiel ihm nicht ein.
Er bot dem Gast einen Platz an und fragte, ob er ihm etwas anbieten dürfe, doch Brühl winkte ab. »Ich komm gerade erst vom Frühstück.«
»Frühaufsteher?«, schmunzelte Häberle.
»Auch, ja, aber wenn ich in Geislingen bin, treffe ich mich mit alten Freunden zum Billardspielen, nachher, im Mehrgenerationenhaus.«
Häberle wusste, was gemeint war: ein beliebter Treffpunkt in der City, im Erdgeschoss einer Seniorenanlage.
»Sie verlassen den schönen Lago Maggiore um diese Zeit und kommen ins vorwinterliche Geislingen?«, staunte Häberle.
»Im Winter ist da unten auch nicht viel los«, erklärte Brühl. »Außerdem muss ich auch hier mal nach dem Rechten sehen.«
»Ihnen ist ein Handy abhandengekommen?«, kam Häberle gleich auf den Punkt, obwohl er sich gerne mit dem überaus sympathischen Mann über den Lago Maggiore unterhalten hätte.
»Nachdem Sie mich am Telefon darauf angesprochen haben, hab ich in meinem Terminkalender nachgeschaut.« Er holte ein beschriebenes Blatt Papier aus der Freizeitjacke und entfaltete es. »Den Verlust des Handys hab ich so um den 25. herum bemerkt. Ich hab vermutet, dass ich’s irgendwo im Haus verloren hab.« Noch bevor Häberle etwas fragen konnte, erklärte er: »Ich meine natürlich mein Haus in Luino, am Lago.«
»Sie haben den Verlust dann aber nicht dem Provider gemeldet? O2 war’s wohl?«
»Nein, warum auch? Es war ja nur eine Prepaidkarte drin, die fast schon aufgebraucht gewesen sein dürfte. Falls es jemand gefunden hätte, wäre der Schaden gering gewesen.« Er sah den Kommissar erstaunt an: »Und jetzt ist es in Moskau aufgetaucht, haben Sie gesagt?«
»Ja, demnach eineinhalb Monate später«, bestätigte Häberle, »ein Wunder, dass der Akku so lange gehalten hat. Denn wenn der den Geist aufgegeben hätte, wäre doch die PIN-Nummer notwendig gewesen, oder sehe ich das falsch?«
»Ja klar, aber diese Handys lassen sich mit handelsüblichen Ladegeräten aufladen. Und wenn man das Ding nur für ein, zwei Gespräche zwischendurch einschaltet, hält der Akku lange«, erklärte Brühl, der sich offensichtlich ebenfalls schon Gedanken darüber gemacht hatte.
Häberle war erfreut, dass sein Gesprächspartner klare und deutliche Antworten gab. »Sie gehen also davon aus, dass es Ihnen Ende September abhandengekommen ist. Weshalb sind Sie sich da so sicher?«
»Mir ist der Verlust aufgefallen, kurze Zeit, nachdem mich einige alte Bekannte besucht haben. Und die waren ein paar Tage vor der Bundestagswahl bei mir. Vom 18. bis 20. September. Wir haben nämlich noch heftig über Politik und die Merkel diskutiert.«
»Okay«, gab sich Häberle zufrieden. »Sie haben aber keinen davon in Verdacht, das Handy mitgenommen zu haben?«
»Gestohlen, meinen Sie? Nein, kann ich mir nicht vorstellen.« Der Tanzlehrer grinste. »Das sind Leute, die geben sich nicht mit so einem alten Handy ab – und außerdem können die sich jederzeit ein Smartphone leisten.« Er dachte kurz nach und stützte die Ellbogen auf den Armlehnen ab.
Der Chefermittler wurde aufmerksam. »Darf ich fragen, wer Ihre Besucher waren?«
»Ehemalige Tanzschüler.« Er verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Damals waren das Jungs im Alter von 17 oder 18 Jahren, ja, lang ist’s her. Inzwischen haben sie Karriere gemacht, ein jeder auf seine Art. Einer ist sogar Bürgermeister geworden.«
Häberle hatte Mühe, seine Überraschung zu verbergen. »Bürgermeister?«
»Ja, Hugo Benninger von Rimmelbach.« Brühl grinste, ohne zu ahnen, dass er mit dieser Aussage Häberles Spannung ins Unermessliche steigerte. »Dort, von wo gerade so viel in der Zeitung steht.«
Der Kommissar nickte. »Mhh. Und der andere?«
»Der größte Bauer von dort oben, behauptet man. Heiko Mompach. Der war damals schon im Tanzkurs ein cleveres Bürschchen – vor allem, was den Umgang mit Mädels anbelangt hat. Ich kann mich allerdings noch gut daran erinnern, dass er ein bisschen gehemmt war, weil er aus der Landwirtschaft kam. Aber er hat’s wohl im Lauf der Zeit allen gezeigt, dass man auch damit Karriere machen kann.«
Häberles Müdigkeit war mit einem Schlag verflogen. »Und was war der Grund, dass Sie Besuch von diesen beiden
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