Machtkampf
vermochte sie nicht mehr zu sagen. Schon als sie im Rettungswagen gelegen war, hatte sie noch immer nach Manuel gerufen. Panisch und im Schock. Der Notarzt hatte ihr einige Spritzen verabreicht – und während der Fahrt in die psychiatrische Klinik wurde ihr Zustand mit Infusionen stabil gehalten.
Mehrfach hatte sie in den folgenden Stunden nach Manuel gefragt, doch die Ärzte waren einer konkreten Antwort ausgewichen. Aber sie ahnte, dass er tot war, obwohl niemand das Entsetzliche aussprach. Er konnte gar nicht überlebt haben. Nicht in diesem Inferno aus Flammen, Funken und Qualm.
Sie hatte ihn allein gelassen, dröhnte es in ihrem Kopf, sobald sich ihre Gedanken dem dämpfenden Klammergriff der Medikamente entziehen konnten. Allein gelassen. Den Manuel. Nur, um selbst für ein paar Stunden auszureißen. Weg von allem. Fort. Einfach alles aufgeben. Hätte sie es nur viel früher getan.
Sie musste telefonieren. Anrufen. Den Kommissar. Doch die Pfleger und Ärzte rieten ihr ruhig, aber bestimmt, niemanden anzurufen. Es gab auch kein Telefon im Zimmer.
Sie sah in blasse Gesichter, die irgendetwas sagten, was sie nicht realisierte. Sie war müde, merkte, wie der dünne Schlauch verschwamm, der aus der Plastikflasche über ihr zu ihrem rechten Arm führte.
Aber sie musste unbedingt telefonieren. Jetzt. Doch die Medikamente lösten ihren Willen auf und vermischten Realität, Ängste und Wünsche zu einem einzigen Horrortraum, in dem sie inmitten des brennenden Hauses stand und verzweifelt versuchte, die Polizei anzurufen. Doch die Notrufnummer war belegt. Und dann brannte das Kabel durch und die Tasten des Telefons zerschmolzen. Sie konnte niemanden mehr anrufen. Es war alles zu spät.
Inzwischen kümmerte sich ein Notfallseelsorger um Franziska Kugler. Sie machte sich unendliche Vorwürfe, ihren Mann nicht zu dem Termin bei Rechtsanwalt Schaufler begleitet zu haben. Jetzt waren schon fast 24 Stunden vergangen und es gab noch immer kein Lebenszeichen von ihm. Sie konnte dem Einsatzleiter der Bereitschaftspolizei-Hundertschaft nicht den geringsten Hinweis darauf geben, wohin ihr Mann gegangen sein konnte. Die nahen A 8 und A 7 machten es möglich, innerhalb weniger Stunden weite Strecken zurücklegen zu können. Aber wohin? Mittlerweile waren auch Sohn und Tochter in Leipzig und Potsdam befragt worden, ohne dass sich Anhaltspunkte ergaben.
Mehrere Hundertschaften und ein Dutzend Hundeführer hatten inzwischen das Gelände im Großraum Rimmelbach durchkämmt. Auch der Helikopter war stundenlang in weitem Umkreis in der feucht-diesigen Novemberluft unterwegs gewesen. Die Topografie entlang der Nordkante der Schwäbischen Alb bot natürlich mannigfache Möglichkeiten, spurlos zu verschwinden. Die tief eingeschnittenen Täler und Schluchten mit ihren steilen und felsigen Hängen waren auch jetzt im Spätherbst, wenn die Bäume kein Laub mehr trugen, nur schwer einsehbar. Obwohl alle Polizeidienststellen über den Vermisstenfall informiert waren, gingen bis zur Mittagszeit keinerlei Hinweise ein. Auch der Mercedes des Pfarrers schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.
Häberle hielt sich mit starkem Kaffee wach, während die Kollegen der Sonderkommission nach und nach wieder eintrafen. Der Chefermittler ließ von einer Metzgerei belegte Brötchen anliefern und musste neugierige Journalistenfragen beantworten. Doch sogar Sander blitzte ab und musste sich an die Staatsanwaltschaft verweisen lassen. Häberle hatte ihm nur bestätigt, dass Kugler verschwunden sei. Doch schon die Frage, ob der Pfarrer als mutmaßlicher Brandstifter infrage käme, beantwortete Häberle nicht. Der neue Staatsanwalt in Ulm schien die zurückhaltende Öffentlichkeitsarbeit seines Vorgängers fortführen zu wollen.
»Neue Besen kehren gut«, hatte dies Häberle süffisant kommentiert, als ihm Schwehr klarmachte, dass keine weiteren Details über die Geschehnisse in Rimmelbach verbreitet werden durften. Dabei wäre es im vorliegenden Fall nach Meinung Häberles durchaus hilfreich, die Medien etwas ausführlicher zu informieren, was auch die Aufmerksamkeit der Bevölkerung erhöhen und sie für die Suche nach Kugler sensibilisieren würde.
»Ich glaube, so langsam ergibt sich ein Bild«, resümierte Häberle und ließ zwei appetitlich gefüllte Servierplatten mit belegten Brötchen herumreichen. »Ich bin davon überzeugt, dass der Dreh- und Angelpunkt der Pfarrer und Mompach sind. Mompach, das wissen wir, wollte mit allen Mitteln
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