Machtkampf
anderen Geschehnissen für möglich hielt.
Sander hatte zwar im Lauf des Vormittags vom abgeschotteten Konferenzraum aus einige Telefonate geführt, doch weder von der Polizei noch von der Staatsanwaltschaft weitere Details zu der angeblichen Anschuldigung des Pfarrers erfahren. Auch die Kollegin von radio7 war bislang in ihren Recherchen nicht weitergekommen.
»Wir müssen unbedingt dranbleiben«, meinte Kauz. »Kirchenkerze und dubioser Selbstmord machen auch andere hellhörig, da bin ich mir sicher.«
Tobias Neth, der für die Umlandgemeinden zuständig war, hatte das Gespräch hinter zwei weiteren den Raum teilenden Schränken ebenfalls aufgeschnappt. »Fragt doch endlich den Pfaffen direkt«, wurde er auf seine gewohnte Art energisch und kam näher. »Was soll denn die vornehme Zurückhaltung? Dem Kollegen Sander …«, er sah ihn süffisant an, »… dem wird es doch bei seinen Beziehungen nicht schwerfallen, den Buben oder die Eltern ausfindig zu machen. Rimmelbach ist ein kleines Nest, da kennt doch eh jeder jeden.«
Kauz blickte den Kollegen grinsend an. »Wie wär’s, wenn Sie das übernehmen würden? Rimmelbach ist doch Ihr Revier.«
Sander, der zwar seit Jahren nahezu jeden Kriminalfall journalistisch aufbereitete, war insgeheim froh, dass Kauz ihm diese unangenehme Recherche ersparen wollte. Denn erfahrungsgemäß stand bei solchen Geschichten Aussage gegen Aussage. Wenn dabei schon Polizei und Gerichte Probleme hatten, die Wahrheit zu finden, dann war es für einen Journalisten in der Provinz ungleich schwerer, die Hintergründe zu beleuchten. Sander hatte sich seit gestern viele Gedanken darüber gemacht, denn im Laufe seines Berufslebens war ihm zunehmend die große Verantwortung bewusst geworden, die bei Veröffentlichungen aus sensiblen Bereichen auf ihm lastete. Zwar hatte sich die Medienlandschaft seit Einführung privater Radio- und Fernsehstationen dramatisch verändert – und zwar, wie Sander es sah, sehr zum Negativen –, aber irgendwie waren alle Journalisten auf diese neue, eher flapsige Welle aufgesprungen. Und mit jedem Generationenwechsel, der sich zwangsläufig auch in den Chefredaktionen vollzog, wurde die Medienwelt verrückter. Sander konnte sich darüber oft im Kreise der Volontäre, Praktikanten und jüngeren Kollegen auslassen, wenn er davon erzählte, dass beispielsweise früher der Gebrauch des Wortes geil ein Donnerwetter mit drohender Entlassung nach sich gezogen hätte. Heute werde es zwar in einem anderen Wortsinn verwendet, doch seien längst weitere einst verpönte und unterhalb der Gürtellinie eingestufte Begriffe salonfähig geworden. Wichtigtuer und Pseudo-Stars, die allabendlich die Talk-Runden, oder – noch schlimmer – die volksverdummenden Fernsehshows auf dritt- und viertklassigen Kanälen bevölkerten, fanden es sogar schick, möglichst vulgär daherzureden, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass sie für viele, die den Schwachsinn konsumierten, als Vorbilder galten. Sander empfand es als Schande, wenn sogar die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten den Schrillen, Verdrehten und Chaoten Sendezeit einräumten. Er musste zwangsläufig an den Rapper Bushido denken, der mit seinen menschenverachtenden Texten jüngst in die Schlagzeilen geraten war. Dabei hatte ihm erst vor zwei Jahren der Burda-Verlag noch den Bambi für Integration verliehen und ihn in den Medien bejubelt.
Nicht selten schämte sich Sander für seinen Berufsstand, wenn er mit ansehen musste, wie oberflächlich manche Fernsehreportagen recherchiert waren. Oft genug musste er sich zurückhalten, um nicht geharnischte E-Mails an die jeweiligen Sender zu schicken. Vor allem, wenn Politiker ihre Worthülsen oder ihre besserwisserischen, aber weltfremden Ansichten übers Arbeitsleben verbreiteten.
Dies alles schoss ihm jetzt durch den Kopf, als Neth ein hartes Vorgehen gegen den Pfarrer von Rimmelbach forderte.
»Ich? Warum ich?«, fragte Neth irritiert, als Redaktionsleiter Kauz ihm das Thema auf’s Auge drücken wollte.
Sander sah die Gelegenheit gekommen, sich aus der Schusslinie zu nehmen: »Warum nicht? Du kennst dich in den Dörfern da droben am besten aus.«
Neth, als Bewohner einer kleinen Albgemeinde selbst mit der Mentalität der dort lebenden Menschen vertraut, verzog sein Gesicht zu einem säuerlichen Lächeln und sah zu Sander, um provokant festzustellen: »Du traust dich wohl nicht.«
Aus Richtung Kulturredakteurin schallte eine giftige Bemerkung herüber: »Der Georg
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