Machtkampf
Gesprächspartner zu irritieren. Das hatte Vanessa im Studium gelernt.
»Wieso Hartmann?« Kowick konnte mit der Frage tatsächlich nichts anfangen, worauf Vanessa sofort reagierte: »Ja, Hartmann. Hatten Sie mit dem auch mal intensiveren Kontakt?«
Kowick zögerte. Er schien Verdacht zu schöpfen. »Hartmann, Kontakt, na ja …« Er hatte sich wieder beruhigt. »Nur geschäftlich. Rein geschäftlich. Er wollte mir beim Verkauf meiner restlichen Landwirtschaft hier behilflich sein.«
»Ach«, zeigte sich Vanessa zufrieden, um ihr Gegenüber nicht weiter zu verunsichern. »Nur geschäftlich, klar. Was auch sonst. Das verstehe ich.« Es klang eher sarkastisch.
Kowick wollte etwas erwidern, hielt aber plötzlich inne.
Kugler hatte sich nach einem langen Gespräch mit Franziska ohne Frühstück in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Sie waren beide übereingekommen, dass er beim Oberkirchenrat um Beurlaubung bitten sollte. Du hast gar keine andere Wahl mehr, brummte es in seinem Schädel. Auch Franziska hatte ihn bestärkt, diesen Schritt zu tun. Er war ohnehin nicht mehr in der psychischen Verfassung, den Erntedank-Gottesdienst vorzubereiten. Außerdem würden das die Gemeindemitglieder vermutlich auch gar nicht mehr wollen. Seine Finger zitterten, als er in seinem abgegriffenen Notizblock blätterte und die Telefonnummer des Oberkirchenrats heraussuchte. Er hatte sich letztes Jahr, als der Streit um seine Pfarrstelle zu eskalieren drohte, die Durchwahlnummer eines Verantwortlichen aufgeschrieben.
Während er die Stuttgarter Vorwahl tippte, verschwammen die Zahlen auf den Tasten, als lege sich ein Schleier über sie. In wenigen Sekunden würde er eine schicksalhafte Weichenstellung vornehmen.
Sie hatten ihn in die Knie gezwungen. Ihn, den Mann, der es gewohnt war, wie eine knorrige alte Eiche allen Stürmen des Lebens zu trotzen. Jetzt hatten sie ihn gefällt.
Noch während das Freizeichen an sein Ohr drang, rang er nach einer Formulierung. Brauchte er überhaupt etwas zu sagen – oder war Neths Bericht längst in Stuttgart angekommen? Heutzutage war jeder Artikel eines noch so kleinen Provinzblattes innerhalb von Sekunden überall auf der Welt verbreitet.
Es fröstelte ihn. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag die aufgefaltete Zeitungsseite mit Neths Artikel. Als sich sein Gesprächspartner meldete, holte Kugler tief Luft, um die Worte, die er sich bereitgelegt hatte, möglichst emotionslos aussprechen zu können. Doch kaum hatte er seinen Namen gesagt, hörte er ein geradezu väterliches »Ich weiß, Dieter, ich hab’s schon gelesen«.
Insgeheim war er dankbar, dass es ihm der Vorgesetzte in Stuttgart leicht gemacht hatte. »Wir sollten uns zu einem Gespräch treffen«, vernahm er die ruhige Stimme.
Pause. Kugler sah sich genötigt, etwas zu erwidern. »Natürlich müssen wir das«, war alles, was heiser aus seiner zugeschnürten Kehle kam. »Darum wollte ich auch bitten.« Er überlegte kurz. »Und um meine vorübergehende Beurlaubung.« Er wischte sich mit dem Handrücken den kalten Schweiß von der Stirn.
Am anderen Ende war ein paar Sekunden Stille. »Das ist, so glaube ich, eine weise Entscheidung. Auch nach allem, was im vergangenen Jahr war.«
Wieder hatte ihn seine Vergangenheit eingeholt. Er würde sie ebenso wenig los wie das, was jetzt gerade über ihn hereinstürzte.
»Vielleicht …«, die Stimme im Hörer zögerte wieder, »vielleicht solltest du mit deiner Frau für einige Zeit, zumindest, bis die Sache ausgestanden ist, einen Wohnsitzwechsel ins Auge fassen.«
Kugler schluckte. War das bereits die diskrete Aufforderung des Oberkirchenrats, Rimmelbach für immer zu verlassen? Er sah aus dem Fenster, vor dem schon wieder der Herbstnebel waberte und das Tageslicht schwand.
»Wir sorgen dafür, dass dich am Sonntag jemand vertritt«, hörte er die unaufgeregte Stimme weiter. »Mach dir erst mal keine Sorgen.«
Kugler wollte den Versuch unternehmen, die Angelegenheit aus seiner Sicht zu schildern, entschied dann aber, dem Vorschlag zuzustimmen. »Danke«, sagte er leise. »Aber ein paar Tage werde ich noch bleiben müssen, hier im Haus.« Wie in Panik überfiel ihn der Gedanke, wieder umziehen zu müssen – ohne Perspektive, ohne Aussicht auf eine Wiederkehr.
»Du solltest dir das nicht zu nahegehen lassen«, versuchte ihn der vorgesetzte Kollege zu trösten. »Wir werden eine eingehende Untersuchung in die Wege leiten. Parallel zu dem, was die Staatsanwaltschaft jetzt macht.«
Die
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