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Machtkampf

Machtkampf

Titel: Machtkampf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Bomm
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er sperrig-bürokratisch hinzugefügt: »Die Obduktion hat den Anfangsverdacht eines Suizids bestätigt.« Zusammenhänge mit der versuchten Brandstiftung im Hochsträßhof seien ebenfalls keine zu erkennen. Vermutlich lägen die Hintergründe dafür im »persönlichen Bereich«. Man nehme diesen Fall zwar nicht auf die »leichte Schulter«, doch könne man angesichts der Umstände davon ausgehen, dass es dem Täter nur um eine Einschüchterung gegangen sei. Die dazu benutzte große Kirchenkerze hätte noch viel zu lange gebrannt und wäre demnach auch unter ungünstigen Bedingungen rechtzeitig bemerkt worden, ehe sie die Scheune in Brand gesteckt hätte. Der Täter habe also gleich von vornherein ein Abfackeln des Gebäudes ausschließen wollen.
    Sander berichtete dies alles der Kollegin Kerstin Wecker, die er während der üblicherweise zweistündigen Mittagspause in einem Bistrocafé der Ulmer Innenstadt getroffen hatte. Kerstin, die er auf Mitte 30 schätzte, war nach dem Artikel Neths ziemlich sauer gewesen, hatten sie doch vereinbart, im Falle des Pfarrers ›gemeinsame Sache‹ zu machen. Jetzt, bei einer Tasse Espresso, konnte Sander die Wogen wieder glätten, zumal die Kollegin Verständnis dafür hatte, dass es in den Redaktionen unterschiedliche Auffassungen gab.
    Auch Sander hatte längst erkannt, dass es nur dem eigenen Nervenkostüm schadete, wenn man sich in eine Sache verbiss, bei der ohnehin nicht jahrelange Erfahrung zählte, sondern ›das Schwätzen‹, wie er es oftmals resignierend formulierte. Das war einer der Gründe, weshalb er sich mit Häberle so gut verstand. Sie beide konnten oft stundenlang darüber diskutieren, wie inzwischen in allen gesellschaftlichen Bereichen die menschlichen Werte verkamen und nur noch zählte, was schnellen Erfolg oder, noch besser, Profit versprach.
    »Du denkst jetzt, ich sei persönlich sauer auf dich«, holte ihn Kerstin aus seinen Gedanken zurück, während er im Espresso rührte.
    Sander lächelte. »Am Telefon hast du kurz diesen Eindruck gemacht. Aber du weißt genauso gut wie ich, dass es zum Journalismus verschiedene Betrachtungsweisen gibt. Das muss nicht unbedingt was Schlechtes sein, sondern ist auch eine Sache des Zeitgeistes. Als ich in den Siebzigern als Volontär angefangen hab, waren die Geschichten noch behäbiger und die Formulierungen sehr zurückhaltend. Wir haben uns damals stark am ›Spiegel‹ orientiert, ja, wir Jungen haben dem Stil des einzigen großen Nachrichtenmagazins nachgeeifert.«
    »Auch der ›Spiegel‹ ist flotter geworden«, entgegnete Kerstin. »Aber du hast recht. Wir beim Radio sind manchmal richtig flapsig. Und frech.«
    »Jaja«, er trank einen Schluck, während um sie herum ein Dutzend Studenten mehrere Tische in Beschlag nahm, »ich erinnere mich noch gut an die Radiosendungen der 50er- Jahre, wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, hier der Süddeutsche Rundfunk, nur trockene Texte verlesen wurden.« Sander rief sich seine Kindheit in Erinnerung. »Nur an zwei Moderatoren kann ich mich erinnern, die es damals schon gewagt haben, einfach so dahinzuplaudern. Der Hermann Haarmann – oder so ähnlich – war morgens der ›Wecker vom Dienst‹, als ich gefrühstückt hab’ und um Viertel nach sieben zum Schulbus musste. Und dann natürlich der Günter Freund mit seiner Schlagerskala. Jeden Montagabend.« Sander grinste. »Ein Muss für uns Jungen damals. Dann haben wir fein säuberlich Postkarten geschickt und unseren Lieblingsschlager gewählt. Ich hab sogar mal eine Langspielplatte gewonnen.«
    Kerstin lauschte interessiert. Sie war zwar um einiges jünger als Sander, hörte aber gerne den nostalgischen Erzählungen älterer Kollegen zu.
    »Und was meinst du«, holte sie ihn wieder in die Gegenwart zurück, »was ist von all dem in Rimmelbach zu halten?«
    »Mein Eindruck, Kerstin: Dort oben sind Machtkämpfe im Gange, die nicht anders sind als anderswo in unserer Gesellschaft. Deshalb bin ich froh, aus der ganzen Sache mit dem Pfarrer herausgehalten zu werden.«
    »Wie? Du zweifelst an der Geschichte?« Kerstin sah ihn ironisch lächelnd an.
    »Ich hab so ein ungutes Bauchgefühl, wie man heutzutage sagt. Aber ich kann dir’s nicht begründen. Unser Fotograf und ich haben einige Gespräche in Rimmelbach geführt. Und wenn du dort bist und mit den Leuten redest, stellst du fest, dass keiner so recht mit der Sprache herauswill.«
    »Du meinst, dass alles zusammenhängt? Missbrauchsvorwurf, Brandstiftung und

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