Machtkampf
Selbstmord?«
Sander zuckte mit seinen schmalen Schultern. »Kerstin, was soll ich sagen? Mir reimt sich das ja auch nicht zusammen. Natürlich kann alles so sein, wie es der Pressesprecher der Polizei und die Staatsanwaltschaft darlegen. Keinerlei Zusammenhang und so. Die Brandstiftung eine harmlose Einschüchterungsaktion. Der Selbstmord von diesem Viehhändler, weil er vielleicht in irgendwelche dubiosen Geschäfte verwickelt war. Und der angebliche Missbrauch des Kindes ist eine völlig separate Geschichte. Klingt aber nicht sehr logisch. Denn es gibt halt dort oben Verflechtungen, die mir suspekt erscheinen.«
»Die gibt es überall, Georg«, entgegnete seine Kollegin vom Radio. »Wo immer du heute anfängst rumzustochern, wirst du auf Ungereimtheiten stoßen. Wir in der Provinz sind da nur allzu grün hinter den Ohren. Was glaubst du denn, worauf du stoßen würdest, wenn du erst mal in Berlin richtige Hintergrundrecherche machen würdest?«
Sander rückte seine randlose Brille zurecht. »Davon bin ich überzeugt, Kerstin. Trotzdem will ich an unserer Sache dranbleiben. Aber ich weigere mich, etwas darüber zu veröffentlichen, solange ich keine hieb- und stichfesten Fakten habe.«
Sie zwinkerte mit den Augen. »Vielleicht kann ich ein bisschen dazu beitragen«, lächelte sie. Jetzt sah sie die Gelegenheit gekommen, ihre Trümpfe auszuspielen. »Oder meinst du, ich bin die letzten Tage untätig geblieben? Ich hab’s nur noch nicht an die große Glocke gehängt.«
»Ach!«, entfuhr es Sander, der damit nicht gerechnet hatte.
»Ich hab mich mal in Ulmer Jägerkreisen umgehört. Manchmal ist es gut, wenn man Visitenkarten aufbewahrt.« Sie nippte an ihrem Espresso. »Als vor geraumer Zeit hier in Ulm ein Schießzentrum eröffnet wurde, hab ich ein paar Herrschaften kennengelernt. Kreisjäger und so. Und einer hat mir vorgestern, ganz im Vertrauen natürlich, eine Story erzählt, die zu deiner Einschätzung der Lage in Rimmelbach passt.«
»Und dieser Informant kennt natürlich unseren Hartmann?«
»Nicht nur den, Georg. Der kennt die ganze Jägerclique da oben auf der Alb, auch über die Landkreisgrenzen hinweg.«
»So?«
»Er kennt nicht nur Hartmann und diesen Großbauern – Mompach heißt er wohl –, sondern weiß auch, wer da noch dazu gehört. Und dreimal darfst du raten, wer das ist.«
Sander ließ blitzschnell im Geist all die Personen an sich vorüberziehen, die er während seiner bisherigen Recherche in und um Rimmelbach kennengelernt hatte. Doch keine davon vermochte er Kerstins Erzählungen zuzuordnen.
Die Kollegin ließ noch ein paar Sekunden der Spannung verstreichen und sagte dann: »Der Bürgermeister höchstpersönlich.«
Hans Melzinger nutzte einen der wenigen sonnigen Oktobertage, um noch einmal mit dem Traktor zu seinem Acker hinauszufahren. Auch jetzt, über zwei Wochen nach Hartmanns Tod, rankten sich viele Gerüchte um den pompösen Hochsitz, der sich unverändert mit zerbrochener Scheibe an die alte Eiche schmiegte. Diese gehörte zu Melzingers Waldstück, das sich hier über einen Großteil der Hochfläche in Richtung Böhmenkirch erstreckte.
Er stellte seine Zugmaschine auf der schmalen Zufahrt zum Hochsitz ab und stapfte über einen schmalen Grünstreifen zu der Leiter, an deren Trittsprossen noch immer Schmutz haftete. Melzinger überlegte, ob er hochsteigen sollte. Jetzt bräuchte er schließlich nicht mehr zu befürchten, Spuren zu verwischen oder welche zu hinterlassen. Dann jedoch verwarf er den Gedanken wieder und besah sich die frischen Ackerschollen. Einige davon waren im Bereich des Waldrandes durch den Rettungseinsatz zertreten und zerdrückt worden. Der Landwirt entschied, dies bis zum Frühjahr so zu belassen.
Er ging noch ein paar Schritte am dichten Randbewuchs des Ackers entlang, bis er links den verwachsenen Trampelpfad entdeckte, der in den Buchenhochwald hineinführte. Die meisten der Baumriesen schätzte er auf ein Alter von 80 Jahren. Es wurde also Zeit, einige von ihnen zu ›ernten‹, um den verbleibenden mehr Entfaltungsmöglichkeit zu bieten. Nachdem der Preis für Buchenholz wieder anzog, plante er den Einschlag fürs bevorstehende Winterhalbjahr. Er sah an den mächtigen Stämmen zu den Wipfeln empor, die noch üppig mit verfärbtem Laub beladen waren, das sich golden schimmernd vom strahlend blauen Himmel abhob. Die Luft war so mild wie seit Wochen nicht mehr. Es roch nach Erde und vermoderndem Laub. Ein Herbsttag wie aus dem Bilderbuch,
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