Machtkampf
trinken wollen …«
»Entschuldigen Sie, Herr Linkohr, aber das geht entschieden zu weit.« Sie wurde laut.
»Nur rein hypothetisch, Frau Stenzel«, fuhr er gelassen fort, »wenn es also so gewesen wäre, dann hätten Sie möglicherweise eine Beobachtung machen können, die vielleicht zum Verständnis von Hartmanns Lebensweise beitragen würde.«
»Ich verbitte mir so etwas.«
»Wie gesagt«, wiederholte Linkohr erneut, »alles, was wir beide hier bereden, erfährt niemand. Von mir jedenfalls nicht.« Er wollte ihr verdeutlichen, dass es auch für sie besser sein würde, gleich gar keine Beschwerde abzusetzen. »Wenn wir beide dies als ein absolut vertrauliches Gespräch betrachten, wird es nirgendwo in einem Protokoll auftauchen.«
Sie sah den Kriminalisten mit versteinertem Gesicht an.
»Frau Stenzel«, begann er ebenso ruhig, wie dies Häberle in solchen Situationen tat, »dann bleiben wir mal bei den Telefondaten. Herr Hartmann hat mit Ihnen einige Male telefoniert …«
»Was nicht verboten ist.«
»Stimmt. Aber ein solches Telefonat lässt darauf schließen, dass es überhaupt etwas zu bereden gab. Und da Herr Hartmann keine schulpflichtigen Kinder hatte, wird es kein dienstliches Gespräch gewesen sein.«
Karin Stenzel schien sich plötzlich wieder gefangen zu haben. »Aber vielleicht ist Ihnen entgangen, dass ich im Gemeinderat von Rimmelbach bin? Und Herr Hartmann war unser Jagdpächter. Halten Sie es nicht für möglich, dass es auf dieser Ebene etwas zu besprechen gab? Über die Beschwerden der Landwirte beispielsweise, dass die Wildschweinpopulation zugenommen hat und die Maisfelder deshalb teilweise verwüstet wurden?«
Linkohr musste sich eingestehen, dass dies tatsächlich eine plausible Erklärung sein konnte. Aber warum hatte diese Frau dann so verärgert reagiert?
Die letzten Tage im Oktober hatten den Nebel auf der Albhochfläche noch dichter werden lassen. Als Franziska den Brief von Rechtsanwalt Schaufler brachte, saß Kugler wieder einmal am Fenster. Er starrte zur gegenüberliegenden Gebäudelücke, wo gerade der rote Streifen vorbeiflitzte, der zum Design eines weißen Intercity gehörte.
Franziska verfolgte mit großer Sorge, wie ihr Mann an Gewicht verlor und immer weniger an den Tagesereignissen interessiert war. All ihre Versuche, ihn zu einem Spaziergang zu bewegen, wies er zurück. Tagsüber wagte er sich nicht aus dem Haus. Stattdessen fuhr er oft nachts stundenlang über die Alb – angeblich, um auf andere Gedanken zu kommen. Franziska machte sich jedes Mal große Sorgen. Manchmal, wenn nachts der Himmel aufklarte, kam er erst wieder gegen drei Uhr zurück, völlig durchfroren, aber mit einem gewissen Glücksgefühl. Dann konnte er von Spaziergängen über die Hochfläche schwärmen, von den Sternen und der Stille, die ihn dort umgab. Kürzlich war er bei Amstetten mitten in der Nacht sogar einem Jäger begegnet, der gerade ein Wildschwein erlegt hatte.
Kugler spürte, wie ihm die nächtlichen Fahrten und Spaziergänge neue Kräfte verliehen, als ob der Himmel um diese Zeit besondere, vor allem aber positive Energie abstrahlte. Sie bewahrte ihn vor schlaflosen Nächten, denn wenn er frühmorgens heimkam, übermannte ihn die Müdigkeit. Und mit der Morgendämmerung schienen auch die Albträume zu schwinden.
In den Nachmittagsstunden widmete sich Kugler dem Schreiben. Wie ein Besessener hackte er am Computer seine Gedanken und Gefühle in die Tasten. Franziska hatte sein Verhalten anfangs kritisch verfolgt, doch nun war sie davon überzeugt, dass das Schreiben für ihn eine heilsame Therapie war, um mit der schwierigen Situation fertig zu werden. Was er genau schrieb, wusste sie nicht. Er verbot ihr strikt, es zu lesen. Kürzlich hatte sie zufällig bemerkt, dass er das Dokument am Computer sogar mit einem Passwort schützte.
Sie legte ihm von hinten die Hände zärtlich auf die Schultern. »Dieter, ich möchte dich inständig bitten, wieder mehr zu essen.«
Er drehte sich zu ihr und sah den noch verschlossenen Brief, an dessen Adressfenster er bereits erkannte, woher er kam. »Vom Anwalt?«, fragte er mit schwacher Stimme. Er nahm ihr das Kuvert aus der Hand und riss es zitternd auf. Das Schreiben bestand nur aus wenigen Sätzen. Nach dem Aktenzeichen und dem Betreff ›Begutachtung des Kindes Manuel‹ bat Rechtsanwalt Jürgen Schaufler um einen Gesprächstermin und schlug auch sogleich den Dienstag nächster Woche vor.
Mehr nicht. Kugler warf Kuvert und
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