Machtlos
anders konnte, als zu reden. Sie sah zu Mayer und nickte.
Er erwiderte ihren Blick, als könne er nicht glauben, dass sie ihren Widerstand aufgab und die Waffen streckte.
»Ich warte draußen«, sagte er schließlich und verließ die Zelle.
Die Tür fiel ins Schloss, und Valerie starrte auf die Schatten, die im Schein der Lampe durch die Zelle tanzten. Licht und Schatten. Leben und Tod. In welche Richtung würde das Pendel ausschlagen? Völlig unerwartet drängten sich ihre Töchter in ihre Gedanken, schlafend, ihre Gesichter weich und entspannt. Sie waren immer zu zweit. Sophie und Leonie. Leonie und Sophie. Einsamkeit war ein Begriff, den sie nicht verstanden. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie die Mädchen beinahe spüren, die zarte Haut ihrer Hände, das seidige blonde Haar, das sich im Schlaf zu feuchten Locken ringelte und einen ganz eigenen, feinen Duft verströmte. Etwas in ihr zog sich schmerzlich zusammen, als sie begriff, wie weit sie in diesem Augenblick von ihnen entfernt war.
Mayer öffnete sofort die Tür, als sie klopfte. Er sprach nicht mit ihr, während sie zum Fahrstuhl gingen. In seinem kalten Licht, zurückgeworfen von den spiegelnden Wänden, sah sie erneut die Erschöpfung in seinen kantigen Zügen und seinen dunklen Augen, aus denen er matt vor sich hin starrte, als habe er Valeries Gegenwart völlig vergessen. Der Fahrstuhl hielt und öffnete sich auf einen der nichtssagenden, uniformen Flure des Gebäudes. An geschlossenen Türen vorbei führte Mayer sie durch eine erdrückende Stille.
Endlich saßen sie einander gegenüber. Mayer hatte seinen Mantel abgelegt. Die Makellosigkeit seines teuren Anzugs stand in unerwartetem Gegensatz zu den Blessuren in seinem Gesicht. Er sah sie abwartend an. Das kleine grüne Licht der Kamera auf dem Fensterbrett blinkte erwartungsvoll.
»Fragen Sie«, sagte sie resigniert.
»Bevor wir zu dem kommen, weshalb ich hier bin, müssen wir noch ein paar Dinge klären.« Er schlug seinen Ordner auf. Zuoberst lag die Fotografie, die sie zusammen mit Noor, Mahir und Safwan zeigte. Mayer nahm sie heraus und legte sie auf den Tisch. »Sie haben behauptet, dass es sich bei dieser Aufnahme um eine Fotomontage handelt. Warum haben Sie mich belogen?«
»Ich habe Sie nicht belogen«, erwiderte sie.
Er runzelte die Stirn. »Sie haben gesagt …« Er blätterte in dem Ordner. »Sie haben gesagt«, wiederholte er, als er die Stelle in dem Protokoll gefunden hatte, »›Das ist eine Frechheit. Was soll das, was wollen Sie mir anhängen? Ich bin nie mit diesen Männern und Noor al-Almawi dort an der Alster gewesen. Es ist eine Fotomontage.‹«
»Das ist es auch«, antwortete sie und sah ihm fest in die Augen. »Diese Aufnahme wurde in Damaskus gemacht.«
»Damaskus?« Mayer warf einen Blick auf die Fotografie, dann sah er sie irritiert an. »Warum haben Sie das nicht gesagt?«
»Warum hat sich jemand die Mühe gemacht, in dieser Aufnahme Damaskus gegen Hamburg auszutauschen?«, fragte sie stattdessen. »Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, die Zuverlässigkeit Ihrer Quellen zu überprüfen?« Es war wie ein Schlag in die Magengrube gewesen, als Mayer ihr die Fotografie das erste Mal vorgelegt hatte, gleich nachdem er ihr erzählt hatte, dass Safwan Abidi in das Attentat von Kopenhagen verwickelt war. Sie konnte es immer noch nicht glauben, ebenso wenig wie an seine Beteiligung an dem Anschlag in Hamburg.
Mayer ging nicht auf ihre Bemerkung ein und blätterte wieder in seinem Ordner. »Als ich Ihnen kurz vorher ein Foto von Barakat und Abidi vorgelegt habe, haben Sie behauptet, die Männer nicht zu kennen.«
»Das war gelogen«, gab sie unumwunden zu.
»Warum?«
Die Versuchung war groß, sich auf das Attentat von Kopenhagen herauszureden. Auf ihre Angst, in etwas von dieser Brisanz und diesem Ausmaß verstrickt zu werden, aber bei all der Akribie, die Mayer und sein Team an den Tag legten, zweifelte sie, dass sie lange an dieser Geschichte festhalten könnte. »Ich hatte mit Safwan Abidi vor drei Jahren eine flüchtige Affäre. Damals ist auch das Foto entstanden.« Noch während sie es sagte, fragte sie sich, wie viele Fotos es noch gab und inwieweit sie in die Öffentlichkeit gelangen und die Titelseiten der Zeitungen schmücken würden, wenn Abidis Beteiligung an den Anschlägen publik wurde.
Mayer zeigte keine Überraschung. Nickte nur, als habe er bereits von dieser Beziehung gewusst und sich seine Vermutung von ihr lediglich bestätigen
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