Machtlos
lassen. Er machte sich eine kurze Notiz am Rand seines Protokolls, bevor er weitersprach. »Ich nehme an, Ihr Mann weiß nichts von dieser Affäre.«
»Es hatte nichts mit mir und Marc zu tun. Ich wollte ihn damit nicht belasten.«
Es folgten weitere Fragen. Nach Noor. Nach Mahir Barakat. Fragen, die ihm schon seit zwei Tagen auf dem Herzen lagen, weil doch jede Information, jedes Mosaiksteinchen ihn nur vor weitere Rätsel stellte. Und sie hörte sich selbst Sätze sagen wie: »Noor würde niemals etwas tun, womit sie Kinder gefährdet.« Und noch während sie diese sagte, spürte sie, wie ihre Zweifel wuchsen, die längst gesät waren. Die Unsicherheit. Noch vor drei Tagen hätte sie behauptet: »Noor würde niemals etwas tun, womit sie Menschenleben gefährdet.« Was war geschehen? Mayer war geschult genug, ihr Zögern zu bemerken.
Valerie begriff, dass es nicht Noor war, die sich veränderte, sondern sie selbst. Dass sie unter dem Druck der Geschehnisse nach Antworten suchte und dabei war, eine Schuld zuzuweisen, von der sie nicht einmal wusste, ob es sie überhaupt gab.
»Sie waren bislang eine wichtige Zeugin in einem Fall, der als streng geheim eingestuft ist. Aus diesem Grund, konnten wir Ihnen auch keinen Anwalt zugestehen«, sagte Mayer. »Ihre Affäre mit Abidi, so flüchtig sie auch gewesen sein mag, gibt dem Ganzen ein anderes Gewicht.« Er sah sie eindringlich an. »Bereits vor zwei Wochen ist Mahir Barakat in Griechenland unter Terrorverdacht verhaftet worden. Unter anderem wird ihm vorgeworfen, Drahtzieher des Anschlags in Kopenhagen zu sein.«
Wieder und immer wieder Kopenhagen. Valerie sah die Bilder der beiden jungen Nordafrikaner vor sich, die nach dem Anschlag als mutmaßliche Täter verhaftet worden waren. Daneben platzierten sich vor ihrem geistigen Auge Mahir und Safwan. Ein schwerreicher Geschäftsmann, der den Koran bestenfalls als Briefbeschwerer nutzte, und ein Chirurg, der nur für seine Arbeit lebte. Es war so entsetzlich absurd.
»Was ist mit Noor al-Almawi?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Mayer. Er wich ihrem Blick nicht aus, dennoch war sie sicher, dass er ihr nicht die Wahrheit sagte.
»Wir haben Abidi einwandfrei als Täter identifiziert«, fuhr er fort. »Er ist immer noch auf freiem Fuß und damit eine ernsthafte Gefahr. Wir wissen, dass er sich in Hamburg versteckt hält.« Er richtete sich auf seinem Stuhl auf. »Helfen Sie uns, ihn zu fassen.«
Ungläubig starrte sie Mayer an. »Ich habe Safwan Abidi vor drei Jahren das letzte Mal gesehen. Ich …«
Sein Blick ließ sie verstummen.
»Sie sind unser Köder, Frau Weymann.«
»Wie bitte?«
»Ihre Freiheit gegen Abidi.«
»Wie stellen Sie sich das vor? Ich meine …«
»Wir haben alles vorbereitet. Sie müssen nur mitspielen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich. Das kann ich nicht.«
Mayer beugte sich über den Tisch. »Safwan Abidi ist verantwortlich für den Tod von mehr als fünfzig Menschen«, fuhr er sie an. »Und wenn wir ihm nicht das Handwerk legen, werden weitere Unschuldige sterben. In wenigen Wochen findet hier in der Stadt ein Gipfeltreffen statt, und wir haben konkrete Hinweise, dass aus der Gruppe, die hinter den Attentätern von Kopenhagen steht, weitere Anschläge geplant sind.«
Mayers Worte hallten in Valerie nach.
Verantwortlich für den Tod von mehr als fünfzig Menschen.
Es klang verkehrt, passte nicht zu ihrer Erinnerung, in der Safwan als ein verantwortungsbewusster, sanftmütiger Mann lebte, ein Poet – das war es, was sie an ihm fasziniert hatte, was sie all ihre Regeln vergessen ließ –, aber kein kaltblütiger Attentäter.
»Das … das kann ich nicht«, wiederholte sie.
Bevor Mayer etwas auf ihre Reaktion erwidern konnte, öffnete sich die Tür des Verhörzimmers, und eine große, schlanke Frau kam herein. Valerie schaute unwillkürlich zu der verspiegelten Scheibe an der gegenüberliegenden Wand und fragte sich, wer dort ihr Gespräch verfolgte.
»Vielleicht sollten wir Frau Weymann die Beweise zeigen, die wir gegen ihn haben«, sagte die Frau zu Mayer und streckte Valerie die Hand entgegen. »Marion Archer, Canadian Intelligence.« Sie hatte einen angenehm festen Händedruck und ein offenes Lächeln. »Ich kann Ihre Vorbehalte verstehen, Frau Weymann«, sprach sie Valerie auf Deutsch an. »Wir würden nicht auf Sie zukommen, wenn es einen anderen Weg für uns gäbe.« Der leichte Akzent der Kanadierin erinnerte Valerie an Burroughs, aber Archer war ihr
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