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Machtlos

Machtlos

Titel: Machtlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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über ihr Gesicht, trotz des Sacks. Sie rührte sich nicht und empfand plötzlich einen seltsamen Frieden. Vielleicht konnte sie sterben, hier, an dieser Stelle. Erfrieren war nicht der schlimmste Tod. Doch eine Hand packte sie, riss sie hoch, raus aus dem weißen Grab. Eisige Luft füllte ihre Lungen. »Wir haben noch eine Verabredung«, hörte sie Burroughs’ Stimme dicht an ihrem Ohr.
     
    Helles Licht. Treppenstufen. Eine Tür. Wärme und … Musik. Ein altes Stück von den Beach Boys. Es war das Letzte, was Valerie erwartet hatte. Dazu Stimmen und Gelächter.
    Einen flüchtigen Moment keimte eine absurde Hoffnung in ihr. Alles war nur Spaß. Gleich würde sie inmitten von Menschen stehen, alle würden »Überraschung« rufen, und es wäre ihr Geburtstag. Alles war nur ein böser Traum, aus dem sie aufwachen würde, sobald sie den Sack von ihrem Kopf streifte. Aber ihre Hände waren auf ihrem Rücken gefesselt …
    Sie blieben stehen. Eine Tür wurde geöffnet, und die Stimmen und das Gelächter wurden für einen Moment lauter. Schwere Schritte kamen auf sie zu. Valerie roch Zigarettenrauch und den Dunst von Alkohol.
    »Du kommst spät«, sagte eine Männerstimme auf Amerikanisch.
    Burroughs’ Antwort kam im schnellen Südstaatenslang. Eine Bemerkung über die ländlichen Straßenverhältnisse, gefolgt von der Frage, wie weit die Vorbereitungen seien.
    »Es ist alles fertig«, erwiderte der andere. »Wir kümmern uns gleich um sie. Komm erst einmal rein.«
    Wieder wurde eine Tür geöffnet. Muffige Kälte wie aus einer Abstellkammer erreichte Valerie. Burroughs schubste sie darauf zu. Sie fiel nach vorn, und die Tür schloss sich hinter ihr. Draußen entfernten sich die Schritte. Sie war allein.
    Es ist alles fertig. Wir kümmern uns gleich um sie.
    Was würden sie mit ihr tun?
    Mayers Worte aus dem Krankenhaus klangen ihr plötzlich in den Ohren.
Wir haben Ihnen Ihren verdammten, eigensinnigen Kopf gerettet.
Er hatte gewusst, was passierte, wenn Burroughs sie in seine Gewalt bekam. Sie wehrte sich gegen die Bilder, die vor ihr auftauchten. Abu Ghraib. Ein Gefangener, zusammengekrümmt auf dem Boden, angekettet wie ein Hund an einer Leine, die eine Soldatin hielt wie eine Trophäe. Sie hatte einen Fuß auf seinen nackten Körper gestellt und lächelte in die Kamera. Männer mit an die Decke eines kahlen Raumes geketteten Händen. Auch sie nackt bis auf den Sack, den man ihnen über den Kopf gestülpt hatte. Der ihr Leiden anonym machte.
    Was würden sie mit ihr anstellen?
    Sie atmete gegen ihre Angst an. Aber es war bereits zu spät. Sie konnte ihre Angst nicht mehr beherrschen. Sie hatte das Kommando über ihren Körper und ihren Geist übernommen.
     
    Lange Zeit geschah nichts. Eisige Kälte kroch in ihren Körper. Ihre Glieder wurden taub. Sie schreckte hoch, als sie laute Stimmen hörte. Gelächter. Es kam näher. Die Tür flog auf. Hände griffen nach ihr, zerrten sie vom Boden hoch. Wieder roch sie Zigarettenqualm und Alkohol. Raus aus dem Raum, aus dem Gebäude. Erneut stolperte sie durch Schnee. Ihre gefühllosen Füße fanden kaum Halt. Treppen. Es ging nach unten. Die Kälte blieb zurück, und die Angst zu fallen war jetzt größer als die Angst vor dem, was sie am Ende der Treppe erwarten würde. Rauher Boden unter ihren Füßen. Hände, die sie vorwärtsstießen.
    Jemand riss ihr den Sack vom Kopf. Sie blinzelte, war geblendet von dem hellen Licht. Sie war in einem Raum, einer Zelle, nicht größer als drei mal drei Meter. Sie war nicht allein. Burroughs und zwei weitere Männer standen um sie herum. Einer von ihnen trat hinter sie und umfasste ihre Schultern. Der andere kam auf sie zu. Er trug nicht wie Burroughs einen Anzug, sondern eine Armeehose, Boots und ein enges schwarzes T-Shirt. Eine kunstvolle Tätowierung bedeckte seinen gesamten rechten Arm.
    Präg sie dir ein!, ermahnte sich Valerie. Präg dir jedes Detail ein. Du kommst hier wieder raus, und dann bringst du sie alle vor Gericht.
    Du kommst hier wieder raus. Sie klammerte sich an diesen Gedanken, als sie die Klinge in der Hand des Mannes aufblitzen sah. Als der kalte Stahl flüchtig ihre Haut berührte, bevor er damit ihre Kleidung durchtrennte.
    * * *
    Burroughs schlug die Decke zurück und stand auf. Er war sich sicher, dass es die Stille war, die ihn nicht schlafen ließ. Die Abwesenheit jeglichen Zivilisationslärms. Er trat ans Fenster und blickte hinaus in die Nacht. Im Osten kündete eine schmale helle Linie über den

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