Machtlos
etwas Zeit gewinnen.
„Wasser?“
„Ja, bitte.“
„Lass nur, Tujana, ich mach das schon.“ Erstaunt bemerkte Victoria, dass Lexia selbst zur Anrichte ging und einschenken wollte.
Victoria spürte, dass die Goldene ihrer Dienerin gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte, konnte aber nicht erkennen warum. Sie sah nur eine leere Höhle mit Sandboden in den Gedanken der anderen und konnte sich keinen Reim darauf machen.
Tujana stellte sich dezent in eine Ecke des Raumes, um die beiden jederzeit bedienen zu können, doch Lexia meinte schon fast herzlich: „Tujana, du darfst dich auch gern zurückziehen und weiter die Schriften studieren, die ich dir gestern mitgebracht habe.“ Sie lächelte. „Natürlich nur, wenn du das möchtest. Victoria und ich kommen schon allein klar.“
Tujana war über das ungewöhnliche Verhalten ihrer Meisterin nicht weniger erstaunt als Victoria, doch offenbar hatte sie in der letzten Woche von Lexia mehr ernst gemeinte Aufmerksamkeit bekommen als in all den vorangegangenen Monaten zusammen. Sie verneigte sich höflich und verließ still den Raum.
„Nimm doch Platz, Victoria. Was kann ich für dich tun?“, fragte Lexia freundlich.
Victoria setzte sich und sah sie prüfend an. Die Goldene hatte den Kopf voller Bilder und den Bauch voller Schuldgefühle – besonders Tujana aber auch Victoria gegenüber. Die Gefährtin wusste nicht, wie sie vorgehen sollte.
„Frag sie ganz direkt. Dann wirst du es sehen“ , hörte sie Jaromirs Stimme in ihrem Kopf.
Victoria nickte innerlich und fragte: „Hast du vor, etwas gegen Jaromir oder mich zu unternehmen?“
Lexia sah sie betroffen an. In diesem Moment waren alle Schuldgefühle verschwunden, aber dafür erfüllte etwas wie Trauer ihren Geist. „Wie kommst du darauf?“, fragte sie leise.
Victoria beugte sich zu ihr rüber und legte entschuldigend ihre Hand auf Lexias Arm. „Mein Herz sagt mir, dass das unmöglich ist. Es ist nur… Seit deiner Initiation bist du allen aus dem Weg gegangen...“
Lexia nickte erschrocken. „Oh, ja... Ich war so beschäftigt, dass ich gar nicht daran gedacht habe, wie das für dich aussehen muss…“ Dann sah sie Victoria direkt in die Augen. „Ich versichere dir, dass ich keinen Auftrag erhalten habe, um euch in irgendeiner Form Schaden zuzufügen. Als Jaromir mir das Amt der Trauzeugin übertragen hat, habe ich ihm versprochen, dich notfalls auch mit meinem Leben zu schützen. Dieses Versprechen gilt!“ Sie sah Victoria eindringlich an: „Ich werde meinen Geist für dich öffnen…“
„Das ist nicht nötig, Lexia. Ich glaube dir auch so“, gab Victoria erleichtert zurück. Sie hatte in den Gedanken der Goldenen nicht eine Spur von Lüge oder Verrat erkennen können.
Nun war Lexia erst recht beschämt. „Eine Goldene verdient das Vertrauen dieser Frau gar nicht“ , dachte sie verbittert. „Wie viele Lügen hat meine Rasse in den letzten Jahrhunderten im Namen des Großen Rates verbreitet? Wie oft die Wahrheit bis zur Unkenntlichkeit verdreht?“
„Geht es dir nicht gut?“, fragte Victoria besorgt.
Lexia seufzte: „Doch. … ach, es ist nur… Die Initiation war sehr anstrengend. Bei dem Ritual wird ein Teil des Wissens der Goldenen direkt auf den Geist der Adeptin übertragen. Ich muss das erst mal alles für mich ordnen…“ Sie strich sich müde über die Augen. „Wenigstens das darf ich erzählen, denn das ist die offizielle Beschreibung des Rituals für Außenstehende. Ich hatte mich auf das Ritual gefreut und war neugierig auf die Geheimnisse der Goldenen. Ich hatte gehofft, die Entscheidungen des Großen Rates besser zu verstehen, von der Weisheit seiner Mitglieder erleuchtet zu werden… aber das, was ich bekommen habe, ist nur eine schier endlose Liste von Entscheidungen und Wahrheiten, die ich nicht verstehe. Mir erscheinen die Taten des Großen Rates wie Lügen, Intrigen und Verrat. Wie soll das zu unserem Ehrenkodex passen? Wir sind doch die Hüterinnen von Recht, Wissen und Weisheit! Ich kann einfach nicht sehen, wie das zusammenpassen soll. Aber es muss doch zusammenpassen!!!“ Verzweiflung machte sich in Lexia breit. Sie hatte die ganze Woche im Kodex nach Erklärungen gesucht.
Victoria fühlte sich unbehaglich. Der Goldenen waren wieder unzählige Bilder durch den Kopf geschossen, die die Gefährtin nicht einordnen konnte. Außerdem machte es ihr Angst, Lexia so hilflos und orientierungslos zu sehen. Dieses Ritual hatte ihr Vertrauen in den Großen Rat
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