Machtlos

Freundinnen sein.
    Victoria war starr vor Bestürzung.
    Plötzlich wurde der Grünen das Herz schwer. „Trage ich den dämonischen Erreger noch in mir?“ , fragte sie die Goldene besorgt. „Wie lange dauert es, bis dieses Fieber bei mir ausbricht?“ Dabei dachte sie nicht an sich, sondern nur an das Leben in ihren Eiern.
    Für den Bruchteil einer Sekunde konnte Victoria unstillbaren Rachedurst und Sadismus im Geist der Königin aufblitzen sehen, doch sofort wurde beides von einer Welle aufrichtigen Mitgefühls und tiefer Anteilnahme fortgeschwemmt. „Das kann ich dir leider nicht mit Sicherheit sagen, Sharrah, doch ich bezweifle, dass der Erreger einfach so verschwunden sein wird. Aus Loranjas Unterlagen geht hervor, dass ohne die Lattozarsamen Monate oder auch Jahre bis zum Ausbruch vergehen können – genau kann das niemand vorhersagen. Sicher ist nur, dass die konsequente wöchentliche Einnahme des Extraktes der Samen den Erreger inaktiv hält.“
    „Aber wenn ich dieses Mittel wieder nehme, dann vergifte ich die Schlüpflinge in meinen Eiern!“ , antwortete Sharrah schockiert und sah entsetzt ihren Leib hinunter. „Es werden noch Monate vergehen, bis ich die Eier ablegen kann.“
    Jalina nickte ernst. „Ich fürchte, du wirst dich entscheiden müssen zwischen der Hoffnung, bis zur Eiablage zu überleben und der Hoffnung auf endgültige Heilung, um dann noch viele Male zum Paarungsflug aufsteigen zu können. Wenn du dich für diese Schlüpflinge entscheidest, bin ich mir nicht sicher, ob ihr alle das überleben werdet.“
    Sharrah war am Boden zerstört. Wenn sie den Tee aus Lattozarsamen wieder einnahm, tötete sie das Leben in den ungelegten Eiern. Tat sie es nicht, würde sie sehr wahrscheinlich sterben und es war keineswegs sicher, dass sie lange genug leben würde, bis sie die Eier ablegen konnte, geschweige denn, um die kleinen Drachen schlüpfen zu sehen.
    Jalina breitete tröstend eine Schwinge über ihrer verzweifelten Freundin aus.
    Die Falschheit der Königin machte Victoria wütend. Ihre Lüge war so hässlich, dass der Gefährtin schlecht wurde. Die Grüne war nicht infiziert – konnte sie ja gar nicht sein! Doch nun war Sharrah fast verrückt vor Angst und es war durchaus möglich, dass sie aus dieser Angst und mit der Aussicht auf baldige Heilung erneut das gefährliche Gift zu sich nahm und damit ihre Kinder tötete. Und selbst wenn sie das nicht tat, wie Jalina ganz stark vermutete, also, selbst wenn Sharrah sich für ihre Kinder entscheiden würde, so würde sie in den nächsten Monaten doch von Angst und Zweifel zerfressen werden. Victoria war sich sicher, dass Jalina nicht von der armen Sharrah ablassen würde. „Die Goldene wird ihr immer neue Lügen auftischen und ihr Leben damit zur Hölle machen!“
    Das wahre Gesicht der Königin der Goldenen war eine abstoßend hässliche Fratze ohne jedes Mitgefühl. So schön ihre äußere Erscheinung war, so widerwärtig hässlich war ihr Geist.
    „Jaromir, wir müssen etwas tun!“ , forderte Victoria nun entschlossen.
    „Ich informiere Abrexar“ , hörte sie dumpf Jaromirs Stimme.
    „Ja, tu das. Dieser Albtraum muss ein Ende finden.“
    Jaromir schüttelte traurig seinen Kopf. „Kleines, der Albtraum wird so schnell kein Ende finden.“
    „Aber wir wissen, dass Jalina lügt. Wir KENNEN die Wahrheit!“ , widersprach Victoria aufgebracht. „Wir können Sharrah doch jetzt nicht…“
    „Wir haben keine Beweise!“ , unterbrach er sie hart. „Wer wird uns glauben? Jalina braucht nur ein weiteres Mal ihren Geist zu öffnen und ein paar passende Bilder hervorzaubern. Sieh dir Sharrah an! Sie war von der Wahrheit überzeugt, als sie diese Halle betrat und doch konnte Jalina sie täuschen. Wie wird es da erst den anderen Drachen gehen?“
     

54. Das Ende
    Irgendwann kehrten alle Drachen wieder zu ihren Plätzen zurück. Victoria war wie betäubt, doch viel Zeit, um sich zu fassen, blieb ihr nicht. Jalina verkündete großzügig, dass es am Abend ein Fest zu Ehren der Grünen geben würde, auf dem ausführlich weiterdiskutiert und sicher auch schon der eine oder andere Rettungsansatz für die Grünen entwickelt werden konnte. Dann bat die Königin darum, wieder zur Tagesordnung zurückzukehren.
    Victoria zuckte zusammen, als die Goldene sie plötzlich direkt ansah. „Bin ich aufgeflogen?“ , dachte sie panisch.
    Doch Jalina lächelte sie wohlwollend an. „Kommen wir zu unserem ersten Gefährtenpaar. Wie viele von euch selbst