Machtlos
Mitgefühl und Schmerz darin. Sie sah die Gefährten mit großem Bedauern an: „Es tut mir sehr leid, ihr beiden. Wie gern hätte ich euch diese Bilder und die damit verbundenen Ängste erspart. Aber ich kann das nicht tun. Ich DARF das nicht tun. Ich muss an das Wohl aller Drachen denken und darf mich nicht nur auf das derer beschränken, die mir besonders am Herzen liegen. Diesen Luxus habe ICH nicht.“ Bei ihren letzten Worten blickte sie Abrexar eisig an.
Dann sah sie wieder zu den Gefährten. „Was auch passieren wird, wir Goldenen werden euch nicht aufgeben. Wir werden gemeinsam mit euch nach einer Lösung suchen und sie finden!“ Sie seufzte tief. „Aber nun seht, was ich euch zeigen muss“ und öffnete ihren Geist.
Die Halle der Goldenen tauchte auf – nicht so prächtig wie heute aber es war zweifellos derselbe Ort. Die Wände bestanden aus unbehauenem Felsen und von der Decke hingen bescheidene Leuchtkörbe, doch an der hinteren Wand ragte bereits das reichverzierte Podest der Königin auf. In der Halle wimmelte es von fröhlichen Drachen und Menschen.
„Menschen!“ , dachte Victoria verwundert. Sie betrachtete die Erinnerung ganz genau, doch sie konnte keine rosa Ränder sehen. „Das ist die Wahrheit!“
Die Stimmung war ausgelassen. An der einen Wand war ein großes Buffet aufgebaut und himmlische Musik füllte den Raum. Hier wurde ein Fest gefeiert.
Tarin begab sich anmutig auf das Podest, das in dem schlichten Raum unpassend prunkvoll erschien. Die Königin bat um Ruhe. Freudestrahlende Gesichter blickten zu ihr auf: Menschen und weiße, schwarze, blaue, rote und grüne Drachen – immer als Paare. Dazu einige Goldene, die dafür sorgten, dass es den Gästen an nichts mangelte.
„Meine lieben Freunde! Ich bin so glücklich, dass an diesem Freudentag alle von euch gekommen sind“ , sendete Tarin aufgeräumt. „Jetzt haben wir es endlich geschafft. Die Tore sind verschlossen! Alle! Die Dämonen sind besiegt!“
Jubel brandete auf. Drachen klatschten ihre Flügel aneinander, Menschen ihre Hände. Manche johlten laut oder pfiffen übermütig auf ihren Fingern. Der eine oder andere hob trotzig seine Faust zum Sieg.
Tarin betrachtete die Menge zu ihren Füßen voller Hochstimmung. „Wir haben gekämpft – wir haben gesiegt! Und ihr Gefährten habt maßgeblich dazu beigetragen.“ Sie verneigte sich respektvoll. „Ohne euch Menschen hätten wir diesen Krieg nicht überlebt. Ohne die wunderbare Verbindung zwischen Mensch und Drache hätte es viele eurer herausragenden Talente nicht gegeben. Und ohne diese Talente wären wir untergegangen. Aber wir leben! Danke! Das wollen wir feiern.“
Erneut brach Jubel aus.
Tarin griff nach einem Glas und hob es feierlich den Gästen entgegen. Der Kelch war aus kunstvollem Kristall und mit einer durchsichtigen, leicht roten, sprudelnden Flüssigkeit gefüllt. „Auf euch, meine Freunde! Auf dass es immer Gefährten unter uns geben möge!“
Auch die Gefährten erhoben ihre Gläser, die Menschen hielten Miniaturen der Drachenkelche in ihren Händen. Doch bevor sie trinken konnten, löste sich ein Schwarzer mit seiner Partnerin aus der Menge. „Vielen Dank für deine Worte, Tarin“ , sendeten beide wie aus einem Geist.
Victoria war fasziniert. Sie hatte noch nie solche lebendigen, klaren Erinnerungen an die Gefährten gesehen. Dieses Paar war sicher seit Jahren oder vielleicht schon seit Jahrhunderten zusammen. Sie waren wie ein Wesen. Die perfekte Harmonie.
Dann wurde der Gesichtsausdruck des schwarzen Paares traurig. „Wir haben gekämpft, hast du gesagt. Und wir haben gesiegt. … Beides stimmt. … Doch du hast nicht den Preis erwähnt, den wir alle für diesen Sieg zahlen mussten. Du hast nicht davon gesprochen, dass wir nur knapp unserem Untergang entkommen sind. Mit keinem Wort erwähnst du die unzähligen Freunde, die wir verloren haben.“
Tarin lächelte ihn traurig an. „Nein, das habe ich nicht, Luise und Carlex. Heute möchte ich nicht trauern – das werden wir alle noch jahrzehntelang tun. Heute möchte ich mit euch feiern! Jetzt ist die Stunde der Freude, meine Freunde. Wir haben sie uns redlich verdient.“
Carlex und Luise nickten und sendeten weiter mit einer Stimme in die entstandene Stille. „Ja, das haben wir… Aber wir müssen auch an die Zukunft denken und diese Stunde ist die richtige dafür.“ Die beiden blickten sich mit einem bedauernden Lächeln um und alle Gefährten richteten sich stolz auf und nickten
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