Machtlos
gelegen, dass du so genau zugesehen hast, als ich mich verbunden habe… Jetzt ist jedenfalls alles ruhig.“
Lenir pflichtete ihm bei: „Ich kann auch nichts ungewöhnliches bemerken. Ich muss mich heute ebenfalls wieder neu verbinden. Willst du zusehen, Victoria?“
Sie lächelte ihren Freund dankbar an. „Das würde ich sehr gern, wenn es dir nichts ausmacht.“
Er schüttelte den Kopf und forderte sie lässig auf: „Komm einfach mit.“
Dann wartete er, bis er ihre Anwesenheit in seinem Geist spürte und zeigte ihr den Weg. Wie schon beim ersten Mal, als Victoria in Lenirs Geist eingedrungen war, stellte sie auch jetzt wieder fest, dass Lenir und Jaromir grundverschieden waren. Während ihr Gefährte sehr strukturiert dachte, war in Lenirs Kopf das reinste Chaos. Er schien sich jedoch bestens zurechtzufinden und plötzlich erkannte Victoria, dass sie am Ziel angekommen waren.
Lenir ließ sich bewusst Zeit mit dem Zauber, damit Victoria ihm folgen konnte, aber auch bei Lenir war die Verbindung zwischen dem Tor und ihm plötzlich da, ohne dass sie begriff, wie sie entstanden war.
Jaromir lachte. „Das beruhigt mich jetzt aber ungemein! Für diesen Zauber haben Lenni und ich jahrelang hart gearbeitet. Wenn du ihn jetzt auf Anhieb durchschaut hättest, wäre ich wirklich frustriert gewesen.“ Dann zog er sie zärtlich zu sich heran. „Und keine Sorge, Kleines, Abrexar wird sicher darauf bestehen, dass du diesen Zauber vollständig verstehst und ihn in unseren Lehrplan aufnehmen lassen. Bestimmt wird es wie beim Schildzauber ein paar Tage, vielleicht auch Wochen, dauern, aber dann hast du die Magie durchschaut.“
Als sie den Keller verließen, bemerkte Victoria fasziniert, dass sich die Verbindung zwischen den Drachen und dem Tor dehnte und den Drachen folgte. Sie schien immer die kürzeste Strecke zu nehmen und ging durch Mauern, Türen und was sonst noch im Weg war, einfach hindurch. Je weiter sie sich entfernten, desto dünner schien der zartrosa Faden zu werden. Bis sie ihn im Erdgeschoss kaum noch wahrnehmen konnte.
„Aber die Verbindung ist noch da“ , versicherte Jaromir ihr augenzwinkernd.
Plötzlich bemerkte Victoria, dass hier ungewöhnlich viele Studenten herumliefen. Sie blickte verwirrt auf ihre Armbanduhr. Es war kurz nach zehn.
„Das ist auch keine Erklärung“ , dachte sie ratlos.
Jaromir griff ihre Hand und sah sie zärtlich an: „Hey, Dummerchen, einer meiner Kollegen wird Klausurergebnisse rausgehängt haben. Das riechen die Studenten in der Regel sofort. Kaum hat es einer gesehen, wissen alle gleich Bescheid.“
Victoria schüttelte ihre Zerstreutheit ab und murmelte: „Klar. Kerstin wartet seit einer Woche täglich darauf, dass Analysis aushängt. Vielleicht sollte ich sie anrufen.“
Darauf sagte ihr Professor leise: „Unnötig – dort ist sie.“
Und tatsächlich kam Kerstin ihnen gerade entgegen. Sie wirkte zufrieden. Ganz offensichtlich hatte sie die Klausur bestanden.
Dann erkannte Kerstin Professor Custos Portae, Victoria und schließlich auch Lenir.
Sie erstarrte.
In diesem Moment wurde Kerstin klar, wie sehr sie Lennard liebte. Sie hatte ihn von der ersten Sekunde an geliebt und würde es immer tun.
Ihre Beziehung zu Alexander in den letzten Wochen war eine einzige Lüge gewesen. Kerstin hatte sich selbst belogen, aber auch ihren Freund. Sie fühlte sich schuldig.
Schrecklich schuldig.
Aber gleichzeitig wollte sie nur eines: Lennard.
Die Intensität ihrer eigenen Gefühle überrollte Kerstin. Sie war zum Zerspringen glücklich, dass Lennard endlich wieder in Kiel war und gleichzeitig hätte sie heulen können, weil er sich in den letzten Wochen kein einziges Mal bei ihr gemeldet hatte. Sicher wollte er nichts von ihr. Aber sie wollte ihn! Ja, verdammt noch mal, sie wollte diesen Mann mehr als alles andere im Leben.
Und dann war da auch noch Alex…
Und warum wusste Victoria offensichtlich, dass Lennard wieder da war und hatte ihr nichts gesagt?
Das war alles zu viel für Kerstin. Sie drehte sich abrupt um und rannte aus dem Gebäude.
Die Gefühle ihrer Freundin waren für Victoria so klar und intensiv, als wären es ihre eigenen gewesen. Sie überstrahlten alles andere in diesem Raum. Selbst Jaromir und erst recht Lenir konnte Victoria kaum noch wahrnehmen. Sie musste erst einmal ruhig durchatmen.
Dann sah sie Lenir an. Er hatte seine Lippen aufeinander gepresst und jetzt, da sie sich auf ihn konzentrierte, spürte sie seinen Schmerz durch seine
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