Machtlos
fest zugezogenen Gedankenvorhänge. Er liebte Kerstin mehr als sein Leben und es zerriss ihn förmlich, sie so zu sehen. Diese kurze Begegnung hatte ihn sehr aufgewühlt, auch wenn er krampfhaft versuchte, das nach außen nicht zu zeigen.
Sie blickte noch einmal Kerstin nach und sah wieder Lenir an.
Dann wandte sie sich an Jaromir: „Ein Gespräch mit Lenir brauchen wir nicht mehr. Die beiden sind füreinander bestimmt! Da gibt es nichts mehr zu deuten. Ich kümmere mich um Kerstin. Bring du Lenir nach Hause. Der steht ja komplett neben sich.“
12. Herzschmerz
Victoria lief ihrer Freundin hinterher und holte sie bei den Fahrradständern ein. Sie winkte mit den Armen und rief: „Hey, Kerstin! Was ist denn los?!“
Kerstin blickte eisig von ihrem Fahrradschloss auf und fragte giftig: „Seit wann wusstest du, dass Lennard wieder da ist und wann hattest du vor, mir das zu sagen?“
Victoria seufzte und log: „Ach, Kerstin. Ich weiß erst seit zwei Tagen, dass er wieder herkommen wollte. Aber ich wusste nicht genau wann. Ich wollte es dir morgen Abend erzählen. Wir sind doch verabredet, oder hast du das vergessen? Außerdem muss ich mich um den ganzen Hochzeitskram kümmern und dann dachte ich, dass du und Alex… also ich dachte, Lennard sei dir nicht mehr so wichtig.“
Victoria zuckte hilflos mit den Schultern und fuhr fort: „Heute Morgen rief Lennard mich an und fragte, ob ich ihm einen Tipp für einen Job geben könnte. Er braucht nämlich Geld, wenn er hier studieren will. Zufällig sucht Jaromir gerade einen Assistenten. Und das ist nicht mal gelogen, sondern die offizielle Begründung, mit der Lenir immer wieder in den Keller gelangen kann, ohne Aufsehen zu erregen: Er muss Unterlagen für seinen Professor holen oder zurückbringen.“
Kerstin sah Victoria zerknirscht an. „Es tut mir leid. Ich drehe völlig am Rad.“
Dann fing sie plötzlich an zu schluchzen.
Victoria sah, dass sie mit Alexander Schluss machen würde. Endgültig! Es hatte keinen Sinn mehr. Kerstin warf sich vor, dass sie das schon viel früher hätte machen sollen. Sie hätte gar nicht erst auf Alexanders Angebot eingehen sollen, es noch einmal miteinander zu versuchen. Und über allem schwebte ihre Liebe zu Lennard und die große Angst davor, abgewiesen zu werden. Seit sie Lennard wiedergesehen hatte, war sie kurz davor, durchzudrehen, so stark waren ihre Gefühle für den Austauschstudenten.
Victoria ging zu ihrer Freundin und legte ihr tröstend den Arm um die Schultern. „Komm Kerstin, ich bringe dich erst mal hier weg. Du bist ja völlig durcheinander… Lass dein Rad hier stehen – wir nehmen den Bus zu mir.“
Als Victoria die Tür zu ihrer Studentenwohnung aufschloss, war sie froh, dass J gerade nicht da war.
Kerstin war total fertig. Die ganze Fahrt waren Tränen über ihre Wangen gelaufen. Glücklicherweise war der Bus leer gewesen.
In Kerstins Kopf herrschte Chaos. Victoria war überrascht, wie heftig ihre Freundin das Ganze traf. Dass Kerstin verliebt war, war ja ok, aber ihre Reaktion eben war echt heftig gewesen und dabei war noch nicht mal irgendwas passiert.
Jetzt saß Kerstin in der Küche und Victoria kochte eine Kanne Tee.
Sie musste ihre Freundin zum Reden bringen, also frage sie: „Warum bist du eigentlich so fertig? Ich meine, du hast Alexander doch nicht betrogen oder so.“
Kerstin schnieft noch einmal und seufzte dann: „Ach, ich weiß es ja selbst nicht. … Klar, Alex tut mir leid und ich fühle mich echt mies seinetwegen, aber das ist es nicht.“
Victoria stellte zwei Becher auf den Tisch und goss dampfenden Tee hinein. Dann setzte sie sich zu Kerstin und sah ihre Freundin ruhig an. „Du bist in diesen Norweger bis über beide Ohren verliebt.“
Kerstin schüttelte den Kopf. „Nein, das ist es nicht. … Oder doch?“
Sie wand sich noch ein wenig und dann gab sie leise zu: „Ich glaube, du hast recht. Ich liebe Lennard mehr, als mir gut tut und irgendwie habe ich Angst, dass er mich nicht will. … Ich meine, … er hat kein einziges Mal in den letzten Wochen angerufen!“
Victoria lachte gutmütig. „Oh Mann, Kerstin! Lennard weiß, dass du einen Freund hast, schon vergessen? Ich könnte mir vorstellen, dass er einfach nicht stören wollte. Das heißt gar nichts, dass er sich nicht gemeldet hat. Wieso hätte er auch anrufen sollen?“
Kerstin sah sie einen Moment irritiert an. Dann schlug sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und murmelte: „Ich bin so blöd! Ich
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