Machtlos
haben.“
Nach diesen Worten leerte Abrexar seinen Becher und stand auf. „So, ihr Lieben, ich muss wieder los. Ich werde in wenigen Tagen wieder reinschauen. Dann sehen wir, wie weit ihr mit der Hochzeitsplanung seid. Mit etwas Glück können wir die Einladungen in der nächsten Woche rausschicken. Ich werde auch noch mal mit Lenir reden – er soll mehr Zeit für die Hochzeitsvorbereitungen einplanen. Das hat jetzt erst mal Priorität.“
Victoria nickte ergeben, seufzte aber innerlich: „Für ihn ist das alles nur ein weiterer Punkt auf seiner Agenda… wie unromantisch!“
Jaromir drückte noch einmal ihre Hand. „Unromantisch, aber effektiv. Er wird dafür sorgen, dass das Fest unsere Position stärkt und Gefährten in unserer Gesellschaft wieder einen wichtigen Platz einnehmen.“
Victoria sah auf ihren Ring und blickte ihn dann ernst an. „Also, ich will gar keinen wichtigen Platz. Ich will dich heiraten, weil ich dich liebe!“
14. Besuch im Haus Brookstedt
Den Freitagvormittag fand Victoria sehr anstrengend. Hoggi hatte ihr heute wieder einige Gesetze der Drachen dargelegt. Für Victoria war die Sichtweise der Himmelsechsen in vielfacher Hinsicht ungewohnt und fremd. Ihr wurde sehr bewusst, dass die schwarzen Drachen, die die Tore bewachten und unter Menschen lebten, eine Ausnahme in ihrem Volk bildeten, denn insgesamt hatten Drachen und Menschen sich in den letzten Jahrhunderten getrennt entwickelt und so voneinander entfernt.
Als sich Victoria und Jaromir auf der Terrasse zum Mittagessen trafen und darüber sprachen, meinte er nur gelassen: „Ach Vici, schau dir doch mal die verschiedenen Kulturen der Menschen an. Wenn du nach China, Indien oder in den Irak reisen würdest, dann hättest du ebenfalls das Gefühl, eine komplett andere Welt zu betreten. So viel weiter sind wir Drachen auch nicht von euch Menschen entfernt. Unsere beiden Arten wurden schon immer von denselben Motiven angetrieben. Das, was wirklich anders ist, ist die Zeitschiene. Das kurze Leben von euch Menschen hat großen Einfluss auf eure Entscheidungen und schlägt sich in eurer erstaunlichen Anpassungsfähigkeit nieder.“
Victoria stocherte im Salat, legte ihren Kopf schief und sah ihn nachdenklich an. „Vielleicht hast du recht. Ich war noch nie außerhalb von Europa, aber trotzdem… Dieses System, dass jeder König über die Drachen seiner Rasse richten darf, das sorgt doch für Ungleichheit! Und manchmal darf dann doch wieder der Große Rat über Drachen jeder Rasse Strafen verhängen. Das ist echt verworren. Und eure Strafen sind teilweise krass drakonisch.“
Jaromir lachte. „Na, dann sieh dir doch mal die Gesetzgebung in Mitteleuropa vor vierhundert Jahren an. Da waren die Strafen auch hart und sie galten ohnehin nur regional. Manche Herrscher richteten in den letzten Jahrhunderten in Europa willkürlich, ohne sich überhaupt auf Gesetze zu berufen. Selbst heute gelten in jedem Land eigene Gesetze. Oder schau in den Nahen Osten – da herrschen Krieg und Chaos. Wir Drachen haben weltweit seit immerhin siebenhundert Jahren eine einheitliche Gesetzgebung. Und vergiss nicht, dass die meisten Drachen die Gesetze, die vor zwei- oder dreihundert Jahren erlassen wurden, als neu empfinden. Für uns sind diese Gesetze modern.“
Victoria nickte und dachte: „Drachen sind eben keine Menschen. Sie sind anders. Das vergesse ich oft, wenn ich mit Jaromir, Lenir oder Abrexar zu tun habe. Die drei wirken so menschlich.“ Dann lachte sie trocken und ernüchtert. „Und das müssen sie auch, damit sie nicht von uns entlarvt werden. Wie Jaromir wohl wäre, wenn er kein Torwächter wäre? Ob ich mich dann auch in ihn verliebt hätte?“
Jaromir sah sie ernst an, griff zärtlich ihre Hand und sagte eindringlich: „Wir alle sind das Produkt unserer Erfahrungen. Ich wäre sicher nicht der, der ich bin, wenn ich nicht in dieser Stadt groß geworden wäre. Aber du wärst auch eine andere, wenn du in einem Slum in Indien aufgewachsen wärst. Es ist müßig, darüber nachzudenken.
Das Leben hat unsere Wege zusammengeführt und darüber bin ich sehr glücklich. Ich bin gern Torwächter. Ich mag Menschen und habe es mehr als einmal bedauert, dass wir Drachen uns verborgen halten müssen und auch, dass ein Menschenleben so verdammt kurz ist. Aber manche Dinge können wir nicht ändern. Andere schon…
Ich spüre, dass wir jetzt die Chance haben, ein neues Zeitalter einzuläuten. Die Goldenen haben Jahrhunderte lang zu verhindern
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