Machtlos
und drückend. Obwohl die großen Fenster alle offen standen, regte sich kein Lüftchen.
Kerstin war schon da und unterhielt sich gehemmt mit Jaromir. Es war ihr erster Besuch im Haus Brookstedt.
Victoria konnte spüren, dass ihre Freundin sich hier deplatziert fühlte. Sie war Kronleuchter, Gemälde und Jaromirs edle Möbel einfach nicht gewohnt. Und dann redete ihr Matheprofessor auch noch mit ihr, als seien sie befreundet.
Victoria grinste. Am Anfang war sie selbst auch befangen in diesen Räumen gewesen. Aber das hatte sich dank Jaromir ganz schnell gelegt.
Sie begrüßte ihre Freundin und die lächelte erleichtert.
Jaromir hatte bemerkt, dass Kerstin gern mit Victoria allein sprechen wollte und so sagte er: „Seid mir nicht böse, aber ich muss vor dem Essen noch etwas arbeiten.“
Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah Kerstin Victoria mit großen Augen an. „Ich wurde vom Butler in dieses… in diesen… äh… hierher gebracht. Vom Butler! Ich bin noch nie von einem Butler irgendwohin gebracht worden. Krass!“
Victoria lachte. „Ja, das hat auf mich anfangs auch mächtig Eindruck gemacht. Albert ist ein echt netter Kerl, aber seine geschliffenen Umgangsformen können einem ganz schön Respekt einflößen.“
Kerstin kicherte. „Du scheinst dich jedenfalls daran gewöhnt zu haben.“
Victoria zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Ich bin wegen Jaromir hier, nicht weil er einen Butler hat. Allerdings muss ich zugeben, dass das echt praktisch ist. Wir brauchen nicht aufräumen oder putzen. Und Albert kann kochen… göttlich, sage ich dir! Aber das wirst du nachher ja selbst erleben.“
Kerstin sah sich noch immer staunend um und Victoria wurde bewusst, wie mondän Jaromirs Zuhause war. Sie musste vor sich selbst zugeben, dass sie das alles mittlerweile als selbstverständlich ansah.
„Und das ist auch gut so“ , dachte Jaromir mit wohlwollender Belustigung.
Victoria setzte sich aufs Sofa und Kerstin folgte ihr.
„Und? Hast du mit Alexander Schluss gemacht?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort kannte.
Kerstin nickte und ihr staunender Gesichtsausdruck wurde zu einem angespannten. Sie seufzte tief. „Alex hat es nicht verstanden. Erst hat er versucht, mich zu überreden, doch mit ihm zusammenzubleiben, so wie schon letzte Woche. Aber ich habe gesagt: «Alex, das wird nix mehr mit uns beiden! Ich will Lennard und nicht dich.» Da ist er voll ausgerastet.“
Victoria sah, dass Alexander ihre Freundin beschimpft hatte, denn er hatte herausgefunden, dass Lennard schon wieder in Kiel war.
Kerstin fuhr fort: „Er unterstellt mir, dass ich schon längst mit Lennard zusammen bin und ihm nur etwas vorgemacht habe.“ Ihr traten Tränen in die Augen. „Ich habe ihn nicht belogen, aber er hat mir einfach nicht geglaubt.“
Victoria legte den Arm um ihre Freundin und sagte leise: „Er kann es nicht ertragen, dich zu verlieren. Und so wie Lennard aussieht, fühlt er sich sicher chancenlos. Ich glaube nicht, dass er dich verletzten will, aber Lennard bekommt er nicht zu fassen und irgendwo muss sein Frust ja hin…“
Kerstin schniefte. „Das würde passen. Heute Morgen lag ein großer Strauß roter Rosen vor meiner Wohnungstür und das steckte drin.“
Sie gab Victoria eine kleine Karte auf der stand: „Sorry. Ich wollte dir nicht wehtun. Ich werde um dich kämpfen! In Liebe, Alex“
Nun musste sie doch weinen und schluchzte: „Oh, Mann! Warum muss das so scheiße sein? Ich verlasse den Mann, der mich liebt. Dabei ist er ein echt netter Typ. Und ich liebe einen Austauschstudenten, der so wahnsinnig gut aussieht, dass er zehn Frauen an jedem Finger haben kann! Ich weiß ja noch nicht mal, ob er sich überhaupt für mich interessiert.“
Während Victoria ihre Freundin einfach in den Arm nahm, spürte sie überdeutlich, wie es Kerstin innerlich fast zerriss, so sehr wollte sie mit Lennard zusammen sein. Victoria konnte sich nicht davon distanzieren und litt mit. Nur mit Mühe konnte sie ihre eigenen Tränen zurückhalten.
Ihre Freundin schluchzte noch immer. Sie konnte selbst nicht verstehen, warum sie so dermaßen irrational fühlte und flüsterte unter Tränen: „Ich werde noch verrückt wegen diesem Norweger. Ich bin echt sooo bescheuert!“
Victoria schnürte es vor Kummer fast ihre Kehle zu.
Sie streichelte ihrer Freundin übers Haar und flüsterte: „Nein, Kerstin, du bist nicht bescheuert. Du bist ganz fürchterlich verliebt und dafür kannst du rein gar
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