Machtlos
zeigte Jaromir ihr einen seiner Lieblingsorte. Sie sprangen durch die Nebel und kamen über einem beeindruckenden Gebirge heraus. Jaromir steuerte auf ein Plateau zu, in dessen Nähe es sogar einen See gab. Die Aussicht war atemberaubend. Victoria und Jaromir hielten sich hier stundenlang auf und redeten über Gott und die Welt.
Es war herrlich. Sie waren sich so nah: Jaromir hatte seine Drachengestalt beibehalten und Victoria saß in ihrer Reitermontur windgeschützt zwischen seinen Vorderbeinen.
Sie grinste. „Wie schade, dass der Klimazauber hier nicht funktioniert.“
„Tja Kleines, du kannst nicht alles haben“ , antwortete ihr Gefährte ungerührt. „Diese Aussicht ist nur mit Wind zu haben und der wirbelt die Luftmoleküle so durcheinander, dass auch der beste Magus sie mit dem Klimazauber nicht mehr beherrschen kann. Da würde dann nur noch ein Schutzschild helfen.“
„Bahh“ , winkte sie ab, „dann komme ich mir ja wie hinter Glas vor. Nee, nee. Ich finde es so auch sehr gemütlich.“ Sie schmiegte sich an sein Vorderbein und ließ den Blick schweifen. „Ich kann verstehen, dass du diesen Ort liebst – er ist so still und friedlich. Werden wir wiederkommen?“
Jaromir nickte. „Gern, wenn du es willst.“
Victoria sagte nichts mehr und genoss einfach nur die Anwesenheit ihres Gefährten und den grandiosen Anblick, den ihr die untergehende Sonne bescherte. Dieser Tag war perfekt.
Am Montag hatte der Alltag sie wieder. Nach dem Frühstück erwartete Hoggi Victoria mit Rechtskundeunterricht. Sie hatte nach dem entspannten Wochenende überhaupt keine Lust, aber es half nichts.
Hoggi ging mit ihr noch immer die Grundlagen des Drachenrechtssystems durch. Sobald sie die hinter sich gelassen hatten, sollten Jaromir und sie gemeinsam unterrichtet werden.
„Wie es wohl wäre, wenn wir uns damals dagegen entschieden hätten, zusammenzusein… Wäre das überhaupt möglich gewesen? Würde es uns in diesem Fall heute so wie Lenir und Kerstin gehen?“ , fragte sie sich nicht zum ersten Mal.
Hoggi schwieg, legte seinen Kopf schief und blickte sie interessiert an. Als sie bemerkte, dass er seine Ausführungen beendet hatte und offensichtlich auf einen Kommentar ihrerseits wartete, blickte sie in seinen Geist. Sie sah zwar einige Bilder, aber wie so oft wurde sie aus den Gedanken des Weißen nicht schlau.
Sie stammelte: „Tschuldigung, Hoggi, ich bin irgendwie nicht so richtig bei der Sache. Tut mir leid, was hattest du eben erzählt?“
Hoggi strich sich nachdenklich über seinen gepflegten weißen Schnauzbart und meinte dann ohne Vorwurf: „Wenn für dich etwas so wichtig ist, dass es dich am Zuhören und Mitdenken hindert, dann wüsste ich gern, was es ist.“ Neugier flackerte in seinen Augen auf.
Victoria seufzte: „Ach, Hoggi.“ „Soll ich ihm das wirklich erzählen?“ , fragte sie sich.
„Ja“ , kam die prompte Antwort ihres Gefährten, „vielleicht können wir etwas herausfinden, das Lenir und Kerstin hilft.“
Also zuckte sie mit den Schultern und sagte: „Ich frage mich, was passiert wäre, wenn Jaromir und ich uns damals gegen eine Verbindung entschieden hätten.“
„Das wäre gar nicht möglich gewesen, Victoria“, entgegnete Hoggi schlicht.
Victoria war verwirrt. „Aber die ehernen Gesetze besagen doch, dass sich ein Drache seiner potenziellen Gefährtin offenbaren muss, damit sie eine Entscheidung treffen kann.“
Hoggi nickte. „Das ist korrekt. Allerdings hätte das bei dir und Jaromir keinen Unterschied gemacht, denn ihr wusstet ja gar nicht, was da mit euch passiert.“
Nun verstand sie gar nichts mehr und blickte ihren Mentor nur fragend an.
Hoggi lächelte und begann mit einer längeren Erläuterung – das konnte Victoria an seinem Tonfall hören. „Also, es ist so, dass Drache und Mensch, nachdem sie sich einmal erkannt haben, für eine bestimmte Zeit tatsächlich in gewissem Maß entscheiden können, ob sie die Verbindung eingehen wollen oder nicht. Entscheiden sie sich dagegen, ist es zwingend erforderlich, dass sich Drache und Mensch trennen – und damit meine ich mindestens hundert Kilometer räumliche Distanz auf Lebenszeit – ohne Ausnahmen. Wenn sie sich für die Verbindung entscheiden, nun ja“, er lächelte sie warm an, „dafür seid ihr zwei jetzt ja unsere Experten.“
Victoria runzelte die Stirn und hakte nach: „Wie lang ist denn die Phase, in der die Gefährten, wie du sagst, «in gewissem Maß entscheiden können», ob sie den
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