Machtrausch
sicheren Arbeitsplatz, um den man nicht jährlich fürchten musste, weil Sparprogramm auf Sparprogramm durch das Unternehmen walzte. Angst war auf Dauer ein schlechter Motivator. Angst fraß auf, auch die Loyalität zur eigenen Firma. So jedenfalls argumentierte sein Kollege und Beinahe-Freund Alois Rauch.
Würde Glock heute den Arbeitnehmervertretern in Hannover die exakte betriebswirtschaftliche Argumentation für die Hannoveraner Kürzungen herunterbeten, könnte er den Vortrag genauso gut auf Serbokroatisch halten: Es interessierte den Betriebsrat einfach nicht. Oft sahen die, meistenteils äußerst verständigen, Betriebsräte zwar sehr schnell ein, dass irgendein vorgeschlagenes Kürzungskonzept wirkungsvoll zu Kosteneinsparungen führen würde. Nur war das für sie kein ausreichendes Argument. Denn den Unternehmenszweck sahen sie in erster Linie in der Beschäftigung möglichst vieler Mitarbeiter bei möglichst hohem Gehalt und angenehmen Arbeitsbedingungen. Glock war durch sein Studium und die dort geltende Lehre stark von der Denkweise geprägt, ein Unternehmen sei zur Gewinnerzielung da. Punkt. Alles andere waren sekundäre Ziele, an die man bestenfalls nach Erreichung des Primärzieles denken konnte. Oder sie waren, wie Kunden- oder Mitarbeiterzufriedenheit, lediglich Mittel zum Zweck, die dann mittelbar zur Gewinnsteigerung führten. Was also sollte er den Arbeitnehmervertretern heute erzählen? Er entschloss sich zu folgender Taktik (eine Strategie war es leider nicht): Zuerst würde er anhand von Alois Foliensatz einen kleinen Vortrag über die unternehmerischen Gründe für den Wegfall der 450 Jobs halten (Standort Hannover traditionell spezialisiert auf Maschinen für die europäische Getränkeindustrie; Getränkeindustrie konzentriert sich immer mehr, kleine Brauereien und Hersteller sterben oder werden aufgekauft; Bedarf nach Maschinen in Europa stagniert; asiatische Hersteller haben in letzten Jahren Marktanteile erobern können; Konzentration auf hochwertige Spezialmaschinen als Ausweg; dafür weniger Personal erforderlich etc. etc.). Dann würde er verbal – sozusagen als nicht zitierbare Hintergrundinformation – deutlich machen, dass eine Rücknahme der Entscheidung absolut unwahrscheinlich wäre, weil sich die Vorstände – insbesondere von Weizenbeck – bei den jüngsten Analystenkonferenzen bereits sehr weit aus dem Fenster gelehnt und die Sanierung der Geschäftseinheit ›Getränkeindustrie‹ gar als konkretes Beispiel für die geplanten Verbesserungen der Profitabilität in allen Teilen der Schuegraf AG genannt hatten. Streiks oder anderer Widerstand würden in diesem Fall nichts bewegen können. Danach würde er eine kleine Kunstpause machen, um die Sache auf seine Zuhörer wirken zu lassen. Im Finale schließlich würde er jene zwei Seiten aus dem von Alois vorbereiteten Vortrag zeigen, in dem die äußerst großzügige Regelung für freiwillig ausscheidende Mitarbeiter verdeutlicht wurde. Ein Mitarbeiter mit dreißig Jahren Betriebszugehörigkeit würde so beispielsweise knapp 150.000 Euro Abfindung erhalten. Sehr üppig also, wie er fand. Anschließend Diskussion. Mit etwas Glück würde die Gegenseite die Unabwendbarkeit einsehen und erkennen, dass er, Glock, bestenfalls Überbringer der schlechten Nachrichten war, nicht aber der letztendliche ›Entscheider‹. Er wusste natürlich, dass dies nur die eine Hälfte der Wahrheit war, da seine Abteilung Unternehmensstrategie die Entscheidungsvorlage für die Geschäftseinheit ›Getränkeindustrie‹ ausgearbeitet hatte. Er hoffte inständig, dass seine heutigen Gesprächspartner davon keine Kenntnis hatten.
»Haben Sie auch nur die entfernteste Ahnung, wie wenig 150.000 Euro sind, wenn man gerade einmal fünfzig Jahre alt ist, wahrscheinlich nie wieder einen Job findet und eine Familie ernähren muss?!« Im Ton der älteren Betriebsrätin schwang Verachtung mit. Von dem eisigen Schweigen abgesehen war er ganz gut durch seinen Vortrag gekommen. Zu seiner Verwunderung saßen ihm in der Konferenzzone des Werksgeländes an die fünfzehn Mitglieder der Arbeitnehmervertretung gegenüber. Große, U-förmige Runde. Neben dem örtlichen Betriebsrat waren auch einige Mitglieder des übergeordneten Gesamtbetriebsrates angereist. Überwiegend Vertreter der IG Metall, einige wenige der UB, der so genannten unabhängigen Betriebsräte, die vorwiegend von Angestellten gewählt wurden. Zu seiner Unterstützung war, offiziell zumindest, der
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