Machtrausch
die hübschen Fotos von 1982 in den Safe legen. Jeder von uns hat damit eine potentielle Bombe in der Hand, den Pakt in die Luft fliegen zu lassen und uns alle in den Abgrund zu stürzen – glaubt mir, diese Lebensversicherung wird den Pakt unwiderruflich in Stahlbeton gießen! Und gleichzeitig lösen wir ein großes Problem …‹ Wie vor vierundzwanzig Jahren in Bayreuth stimmen alle sofort zu. Zur Besiegelung ihrer folgenschweren Abmachung reicht der Blonde allen einen Schluck Weißwein und zitiert mit erhobenem Glas seinen Lieblingsdichter:
› Es ist ein Brauch von alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör! Zum Wohle !‹ Danach gehen sie sachlich und nüchtern zur Diskussion der Details ihrer nächsten Aktionen über und trennen sich zeitig um kurz vor Mitternacht. Vier von ihnen stehen jeden Morgen sehr früh auf, um vor der Arbeit noch ein paar Kilometer zu joggen. Wer die Strapazen einer Top-Karriere aushalten will, muss körperlich in Höchstform sein .«
Neben dem Bett stand jetzt eine halbleere Cognacflasche. Glock, der gerade in einen Abgrund geblickt hatte und nur auf Grund seiner Müdigkeit nicht hineinstürzte, fragte: »Warum hast du mir das erzählt? Du steckst ganz, ganz tief in einer ekelhaften Verschwörung , die für allerlei illegale Machenschaften bis hin zu Mord verantwortlich ist! Ich glaub das einfach nicht !«
»Danke für den Hinweis. Ich stecke nicht nur tief drin, sondern ich bin von Anfang an einer der Haupttreiber hinter diesem Pakt gewesen .« Sie lächelte Glock schief an und fuhr fort:
»Aber du wirst damit nichts anfangen können, da du keinerlei Beweise hast …«, bei diesen Worten zerriss sie das Foto in kleine Stückchen, »… und weil du dein Leben und meinen Ruf riskierst, wenn du die Sache irgendwie weiterverfolgen solltest. Zwei Menschen sind schon tot – und es könnten schnell mehr werden …«
»Aber das ist doch Wahnsinn – du kannst mir doch nicht ernsthaft drohen, Renate? !«
»Kann ich doch. Wir haben viel Spaß miteinander gehabt, Anton, aber genau hier endet selbiger !« Ihr alter Freund (er verwarf den Ausdruck sofort wieder und ersetzte ihn durch Liebhaber ) konnte es kaum glauben. Glock wusste, dass es Zeit war, aufzustehen, diese Villa zu verlassen und die nächste Polizeidienststelle aufzusuchen. Seine Lebenserfahrung besagte jedoch, dass Recht haben und Recht bekommen im wirklichen Leben nichts miteinander zu schaffen hatten. Der Satz war ihm zu trivial, um ein Gesetz daraus abzuleiten. Stünde er jetzt auf, würde er nichts erreichen, außer der Gefährdung weiterer Leben. Er hatte heute weitaus mehr erfahren, als er sich hatte träumen lassen. Und mehr, als er verarbeiten konnte. Er musste das Spiel mit ruhiger Hand zu Ende spielen.
»Wieso eigentlich zwei Tote? Dass Röckl keinen Selbstmord begangen hat, ist klar. Aber wen habt ihr noch auf dem Gewissen ?«
Der Name Beckendorfs, des bei einem Tauchunfall ums Leben gekommenen Ex-Chefs des Konzerns, blinkte in grellroter Leuchtschrift vor seinem geistigen Auge auf. Er bekam keine Antworten mehr. Alle weiteren Fragen wehrte Renate müde ab, bis sie friedlich in dem breiten Bett einschlief. Er empfand Verwunderung da-rüber, dass Renate ihn nicht gefragt hatte, woher er das Foto eigentlich hatte. Ob sie es selbst geschickt hatte? Wohl kaum. Er musste sich dringend eine Strategie für das weitere Vorgehen zurechtlegen, war jetzt aber viel zu müde. Glock stellte den Wecker seines Organizers auf halb sechs, damit er den Flieger nach Hannover am Mittwochmorgen nicht verpassen würde. Das Chaos in seinem Leben war auch so schon groß genug. Und während er einschlief, musste er an die Worte von Minor Schachter-Radig denken, dem Chef der Eingreiftruppe, der ihm heute anschaulich seine Theorie der Verbiegung des Menschen durch das Primat der Ökonomie geschildert hatte. Renate, dachte er, war der lebende Beweis für die Verbiegung eines Menschen um erstaunliche 180 Grad. Vom grundsozial auf die Welt gekommenen Menschen zu einer Frau, die sich ausschließlich und exakt um ein Lebewesen auf Erden kümmerte und sorgte: sich selbst.
12
So früh morgens fand Glock die beinahe intime Nähe anderer Menschen, zu der man im Flugzeug gegen seinen Willen gezwungen war, unerträglich. Er saß eingezwängt auf dem Mittelplatz einer überfüllten Maschine nach Hannover, neben ihm auf dem Fensterplatz ein korpulenter, älterer Herr, der seit dem Start leise vor sich hinschnarchte. Hin und wieder schien er im
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