Madam Wilkin's Palazzo
mit Tablett und Teekanne.
Pünktlich um fünf Uhr geleitete
Mariposa C. Edwald Palmerston ins Haus. Um zwei nach fünf beugte er sich über
die zarte Hand von Mrs. Sorpende. Um drei nach hielt er die besagte Hand immer
noch in der seinen. Um vier nach hustete Max Bittersohn bedrohlich, und Mr.
Palmerston ließ von seiner Beute ab.
»Ganz reizend von Ihnen, mich
einzuladen, Mrs. Kelling. Ach je, als ich das letzte Mal dieses Haus betreten
habe, war es, um Ihnen mein Beileid für den tragischen Verlust auszusprechen.
Sie scheinen sich allerdings schnell wieder erholt zu haben«, fügte er hinzu
und warf einen raschen Blick auf Sarahs geblümtes Kleid, das sie unter der
fachkundigen Anleitung von Mariposa für sehr wenig Geld in Filene’s Basement
gekauft hatte, weil sie es mehr als leid war, die alten Kleider ihrer Mutter
aufzutragen.
»Ich versuche mein Bestes«, erwiderte
Sarah. »Sahne oder Zitrone?«
»Milch, bitte, und zwei Stückchen
Zucker.« Palmerston rückte so nah wie möglich an Mrs. Sorpende heran und führte
sich genießerisch sein Getränk zu Gemüte.
»Was macht Madams Palazzo?« fragte
Bittersohn.
»Madams Palazzo? Ich mißbillige diese
unglückselige Bezeichnung aufs schärfste, Mr. Bittersohn. Das Wilkins-Museum
verdient den Respekt unserer Bürgerschaft als eine der ehrwürdigsten
Einrichtungen von Boston. Ich betone absichtlich das Wort ehrwürdig, und
natürlich meine ich es im Sinne von würdig der Verehrung. Was sein eigentliches
Alter betrifft, muß ich gestehen, daß ich mich persönlich an die Einweihung
erinnern kann, obwohl die Erinnerung sehr schwach ist, denn ich war damals noch
ein kleines Kind. Ah, meine Verehrteste« — Palmerston nutzte die Gelegenheit,
um die verführerische Hand seiner Nachbarin zu tätscheln —, »tempus fugit.«
»Wie recht Sie haben«, sagte Mrs.
Sorpende und wand sich höchst geschickt aus seiner Reichweite. Sie mochte
vielleicht nicht genau wissen, was »tempus fugit« bedeutete, aber sie wußte
sehr wohl, daß es immer gut war, einem Mann zu sagen, daß er recht hatte.
»Können Sie sich zufällig noch daran
erinnern, wie hoch zur Zeit der Eröffnung der Wert der Werke im Palazzo
geschätzt wurde?«
»Madame Wilkins, um ihr einmal den
Titel zu geben, den sie selbst zu Lebzeiten gewählt hat, soll gut über zehn
Millionen Dollar für ihre Gemälde und andere Objets d’art ausgegeben haben.
Heute liegt der Wert selbstverständlich unendlich höher.«
»Würden Sie darauf eine Wette
abschließen?«
»Wie bitte?«
»Einer erst kürzlich erstellten
unabhängigen Untersuchung zufolge« — Bittersohn hatte gerade einen Matisse für
den Leiter einer Bostoner Werbeagentur aufgespürt und dabei einiges gelernt —
»sind alle Kunstwerke des Palazzos zusammen nicht einmal 20 000 Dollar wert.«
C. Edwald Palmerston biß beinahe ein
Stück aus seiner Spode-Teetasse. »Aber — aber das ist doch einfach grotesk! Mit
welchem Recht wagen Sie es — ?«
»Man könnte sagen, ich habe mich um die
Angelegenheit gekümmert, weil ich ein engagierter Bürger bin, der daran
interessiert ist, daß die Bostoner Kunstschätze für die Allgemeinheit bewahrt
werden. Ich dachte, daß Sie als Vorsitzender des Treuhandausschusses über die
tatsächliche Lage informiert werden müßten.«
»Mein Herr, wenn das ein Witz sein
soll, finde ich ihn höchst geschmacklos. Wer hat diese Untersuchung
durchgeführt?«
»Mrs. Kelling kann bestätigen, daß es
sich keineswegs um einen Witz handelt, Mr. Palmerston. Ich bin zufällig
promovierter Kunsthistoriker. Nachdem mir letzten Sonntag bei meinem Besuch im
Museum mit Mrs. Kelling Verschiedenes aufgefallen war, habe ich einen Bekannten
von mir, der auf gestohlene Gemälde spezialisiert ist, gebeten, sich den Palazzo
einmal näher anzusehen. Er hat diese Liste für mich zusammengestellt.«
Bittersohn zog ein etwas angeschmutztes
Blatt teures Schreibpapier hervor, das mit einer Schönschrift bedeckt war, die
in jedem mittelalterlichen Kloster Zustimmung gefunden hätte. »Wie Sie sehen,
ist hier aufgeführt, welche Ihrer Gemälde in den letzten 30 Jahren durch Kopien
ersetzt wurden, und wann und wo jedes gestohlene Original über die Staatsgrenze
gebracht wurde. Ziemlich beeindruckende Recherchen, finden Sie nicht?«
»Ich glaube kein Wort davon«, sagte
Palmerston, dessen Gesicht die Farbe von verdorbenem Blumenkohl angenommen
hatte.
»Heute morgen«, fuhr Bittersohn fort,
»habe ich einem der Gemäldekuratoren des Metropolitan
Weitere Kostenlose Bücher