Madam Wilkin's Palazzo
Ich schaue immer
hinein, wenn ich an dem Laden vorbeigehe, ob wieder irgend etwas von meinen
Sachen zum 60fachen dessen angeboten wird, was er mir dafür gezahlt hat. Sehen
Sie, jetzt geht sie in Richtung Charles Street.«
Gräfin Ouspenska war offensichtlich
durch die Bewegung an der frischen Luft wiederbelebt worden. Sie hatte einen höheren
Gang eingelegt und bewegte sich sehr viel schneller vorwärts. Es gelang ihr
sogar, noch über die Beacon Street zu flitzen, als die Ampel gerade umsprang,
während ihre beiden Verfolger warten mußten, bis die Autos wieder anhielten.
Als sie endlich die Straße überqueren konnten, war die Gräfin verschwunden.
»Verdammt. Jetzt haben wir sie
verloren.«
»Nein, das haben wir nicht.« Sarah nahm
Max’ Hand und drängte ihn in eine winzige Gasse und um eine Ecke.
»Wo sind wir?« flüsterte er.
»Hinter Mr. Hayres Antiquitätenladen
natürlich.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Wir legen uns auf die Lauer.«
Kapitel
10
S arahs Ahnung war richtig gewesen. Sie
hatten gerade erst zehn Minuten aus ihrem Versteck hinter den Mülltonnen die
Gasse beobachtet, als sie die Gräfin wieder herauskommen sahen. Sie war in
Begleitung eines Mannes. Als das Paar durch den Lichtkegel einer der
nachgemachten altmodischen Gaslaternen schritt, die der Charles Street ihre
nostalgische Atmosphäre verleihen, konnten die heimlichen Beobachter sehen, daß
es sich bei dem Mann um Bernie den Klavierspieler handelte. Vielleicht hatte
Lydia das Geld für ihre Ikone bekommen. Jedenfalls mußte entweder sie oder
Bernie ziemlich flüssig sein, denn sie winkten sich ein Taxi heran.
»Kommen Sie.« Bittersohn zerrte Sarah
mehr oder weniger hinunter zum Taxi-Halteplatz, wo glücklicherweise noch ein
weiteres Taxi wartete.
»Würden Sie bitte dem anderen Taxi
folgen, das gerade die beiden Fahrgäste aufgenommen hat?« sagte er zu dem
Fahrer. »Wir waren nämlich mit dem Paar, das bei Ihrem Kollegen eingestiegen
ist, verabredet, aber wahrscheinlich haben sie das Warten gerade in dem
Augenblick aufgegeben, als wir angekommen sind. Wir wollen alle zur selben
Party, aber unsere Bekannten haben leider vergessen, uns die Adresse zu geben.«
»So ist das Leben!« sagte der
Taxifahrer mit einem bemerkenswerten Anflug philosophischer Originalität. »Ich
kann aber auch ranfahren und fragen, wenn Sie mögen.«
»Nein, wir fahren ihnen lieber nach und
überraschen sie. Es ist sicher nicht sehr weit. Irgendwo bei Brookline Village,
denke ich. Außerdem hätten wir ganz gern ein bißchen Zeit für einander, wenn
Sie verstehen, was ich meine.«
Der Fahrer verstand offenbar genau, was
Bittersohn meinte, denn er drehte sein Radio lauter und schloß die Öffnung in
der Plexiglasscheibe, die den Rücksitz vom Fahrersitz trennte. Bittersohn
grinste und zog Sarah näher zu sich heran.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn
wir uns ganz natürlich verhalten?« murmelte er.
»Ist das Ihr natürliches Verhalten
gegenüber Frauen in Taxis?« flüsterte sie zurück, machte jedoch keine
übermäßigen Anstalten, von ihm wegzurücken.
»Sie haben doch gerade gehört, daß wir
ein Liebespaar auf dem Weg zu einer Party sind, nicht?«
»Glauben Sie das im Ernst? Ich meine,
daß wir auf dem Weg zu einer Party sind? Was denken Sie, wohin Bernie die
Gräfin entführt?« Sarah befand es für nötig, sich ihre eigentliche Mission ins
Gedächtnis zu rufen. Mr. Bittersohn derart nahe zu sein, könnte ansonsten die
Aufmerksamkeit einer jungen Witwe leicht in eine andere Richtung lenken, an die
sie nicht einmal denken durfte.
»Ich habe Brookline Village gesagt,
weil mir scheint, daß dort im Moment das meiste los ist, und wir fahren ja auch
mehr oder weniger in die Richtung, aber fragen Sie mich bitte nichts Genaueres.
Im Moment ist Ihre Gesellschaft das einzige, was mir an dieser ganzen Sache
wirklich gefällt, doch ich bin mir nicht sicher, ob es sehr klug von mir war,
Sie mitzunehmen. Es gibt nur zwei Dinge, die Bernie ohne Hilfe fertigbringt:
Klavierspielen und Trinken. Sonst wartet er immer auf Nick Fieringer, damit der
alles für ihn erledigt. Daß er sich in diesem Antiquitätenladen herumtreibt —
und das scheint mir auch ein Ort zu sein, wo was los ist —, könnte bedeuten,
daß er für Nick etwas erledigt.«
»Und was könnte das heißen?«
»Mrs. Kelling, Sie waren doch dabei,
als Nick Sonntag abend versucht hat, mir die Wilkins-Sache auszureden. Ich weiß
nicht, ob er aus
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