Madam Wilkin's Palazzo
War seine Armut nur Bluff,
ebenso wie seine joviale Art? Hatte er das Geld irgendwo auf die hohe Kante
gelegt und wartete vielleicht nur darauf, sich damit über alle Berge zu machen,
es mit beiden Händen auszugeben, und lachte sich heimlich ins Fäustchen über
die Dummköpfe, die ihn verachteten und nicht einmal merkten, daß er sie
beraubte? Oder hatte er sich damit seinen Ruf als guter Freund und Kumpel
erkauft? Schmarotzer wie Bernie und Blutsauger wie dieser Lupe schafften es
bestimmt, ein ganzes Vermögen im Handumdrehen zu verprassen, wie Sarah zu ihrem
Leidwesen aus Erfahrung wußte. Sie verschwendeten es für Drogen, Glücksspiele
oder was ihnen sonst noch in die Augen stach, und liefen dann zum alten Nick,
um sich Nachschub zu verschaffen. Zu ihrer Verwunderung spürte Sarah, wie ihr
die Tränen über die Wangen liefen.
Fieringer mußte es auch bemerkt haben.
»Was haben Sie denn, schöne Lady? Dem alten Nick können Sie es ruhig sagen. Zu
mir kommen alle mit ihren Problemen.«
Sie fuhr sich mit der Hand über ihr
Gesicht. »Sie haben mich bloß einen Moment lang an meinen verstorbenen Mann
erinnert. Ich vermute, Sie wissen, was ihm zugestoßen ist. Es ist nicht sehr
lange her, wissen Sie, und ich habe mich immer noch nicht ganz -«
Was war nur in sie gefahren, daß sie
derartige Dinge von sich gab? Wie konnten zwei Menschen auf dieser Welt
grundverschiedener sein als dieser fette, schwitzende, primitive Koloß und der
unglaublich attraktive, gepflegte Aristokrat, den sie geliebt und verloren
hatte? Und doch hatte man unter Alexanders unerschütterlicher
Selbstbeherrschung genau die gleiche Spannung gespürt, genau das gleiche
Bedürfnis, eine gütige Vaterfigur zu sein, auf die dann der gesamte
Kelling-Clan seine Probleme abgewälzt hatte, und auch er war grausam ausgenutzt
worden, auch wenn er davon Gott sei Dank niemals etwas erfahren hatte. Sie
hatte dieses Verhalten mißbilligt, sich deswegen geschämt und versucht, es
wiedergutzumachen, indem sie ganz besonders lieb zu ihm war. Genauso, wie sie
es jetzt bei Nick Fieringer tat. Nick nahm es allerdings auf eine Art und Weise
auf, die für sie mehr als unerträglich war, aber das hätte sie sich eigentlich
vorher denken können.
»Glauben Sie mir, was Sie gerade gesagt
haben, ist wirklich eine große Ehre für mich. Ich werde die Erinnerung daran
für immer tief in meinem Herzen tragen. Aber wenn ich sterbe, wird keine schöne
Frau an meinem Grab weinen.« Er schnitt Grimassen wie jemand in einem Werbespot
für die Pflege der dritten Zähne. Es war einfach widerlich.
»Das ist sicher nicht wahr«, erwiderte
sie matt. Wie um alles in der Welt schaffte man es nur, mit einem solchen Mann
zu sprechen, ohne sich zu übergeben? Man konnte vielleicht versuchen, über
weniger persönliche Themen zu sprechen. »Ich habe mich oft gefragt«, setzte sie
an, »wie die Arbeit eines Impresarios eigentlich aussieht.«
Fieringer erklärte es ihr. Er hörte
überhaupt nicht mehr auf zu reden. Mitten in seinem Monolog entschuldigte er sich
mit einer Mischung aus Albernheit und Verlegenheit, daß er zur Toilette müsse.
Konnte dieser Mann eigentlich nichts sagen oder tun, ohne daß es einen gleich
an einen schmutzigen Witz erinnerte? Sie wünschte sich sehnlichst, daß er
endlich gehen würde, daß Bittersohn zurückkäme, daß das Haus niederbrennen
würde, egal was, nur damit diese Farce endlich ein Ende nahm. Sie hatte Charles
eingeschärft, Mr. Bittersohn auf der Stelle nach oben zu führen, sobald er das
Haus betreten hatte. Nach langem Warten erschien er endlich.
»Wie geht es dir, Nick? Entschuldige,
daß du so lange hast warten müssen. Hat Mrs. Kelling dir etwas zu trinken
angeboten?« Seine Freundlichkeit klang genauso falsch wie die von Fieringer,
wenn auch wesentlich subtiler.
Sarah konnte es kaum erwarten, mit ihm
allein zu sein, um endlich herauszufinden, wie die Sache mit Lupe ausgegangen
war, doch sie würde sich offenbar noch eine ganze Weile gedulden müssen. Zuerst
mußte der Impresario seinem lieben Freund Maxie mitteilen, wie hervorragend er
sich mit dessen wunderschöner Pensionswirtin unterhalten hatte, und tat das in
einer Art und Weise, die in Sarah den Wunsch weckte, sich möglichst umgehend
und lange sehr heiß zu duschen. Dann mußte er sich zu Palmerston und Ruy Lopez
äußern. Die Version, die er Max erzählte, stimmte allerdings nicht allzu genau
mit der Geschichte überein, die er ihr eben erzählt hatte, wie Sarah
feststellte. Wie
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