Madam Wilkin's Palazzo
darunter zum Vorschein kam,
hatte eine merkwürdig bläuliche Farbe. »Max, das sieht mir aber gar nicht gut
aus.«
Er blickte sie finster an. »Der Puls
ist so schwach, daß ich ihn kaum noch fühlen kann. Ruf Charlie, und sag ihm, er
soll sofort ein Taxi bestellen.«
»Meinst du, es hätte irgendein langsam
wirkendes Gift in dem Wein sein können?«
»Ich weiß es nicht, aber nach dem, was
Brown zugestoßen ist, sollten wir besser kein Risiko eingehen.«
Sie wickelten die bewußtlose Frau in
Decken und fuhren mit ihr zur Notaufnahme des Krankenhauses. Der diensthabende
Assistenzarzt sah Lydias Farbe, kontrollierte ihren Herzschlag, kratzte sich am
Kopf und ließ einen Stationsarzt holen. Dieser untersuchte sie ebenfalls, hob
ein Augenlid an, betrachtete die Pupille und ließ einen medizinisch-technischen
Assistenten kommen. Sarah und Max wurden mit Fragen überschüttet. Wo war die
Gräfin gewesen? Was hatte sie gegessen? Hatte sie irgendwelche Krankheiten? Wer
waren ihre nächsten Angehörigen?
Bei der letzten Frage brach Sarah in
Tränen aus. »Können Sie uns nicht endlich sagen, was ihr fehlt?« schluchzte
sie.
»Vielleicht handelt es sich um eine
allergische Reaktion«, mutmaßte der Assistenzarzt.
»Vielleicht sollten wir ihr den Magen
auspumpen und sie an ein Sauerstoffgerät anschließen«, meinte der Stationsarzt.
Die Gräfin Ouspenska wurde weggerollt,
und Max und Sarah mußten die Fragen eines erschöpften Mannes in der Notaufnahme
beantworten.
Als sie das hinter sich gebracht
hatten, sagte Sarah: »Am besten, wir warten hier.«
»Es kann aber ziemlich lange dauern«,
warnte er sie.
»Das ist mir egal. Ich fühle mich für
sie verantwortlich. Vielleicht war es etwas, das ich gekocht habe.«
»Dann wären wir auch krank, meinst du
nicht?«
»Aber wenn es eine Allergie ist?«
»Das glaubst du doch wohl selbst
nicht.«
Die Stühle im Wartezimmer wurden immer
unbequemer. Bittersohn wanderte in den Fluren auf und ab und brachte alles
mögliche aus den Getränke- und Süß Warenautomaten mit, die er finden konnte:
Kaffee, der kein Aroma hatte, muffige alte Cracker, die angeblich mit
Erdnußbutter gefüllt waren, aber nach Schellack schmeckten, und
Schokoladenriegel mit viel Zucker und künstlichen Aromastoffen. Sarah machte
nicht einmal den Versuch, sie zu essen. Nach einer Weile fand sie ein
Münztelefon und rief zu Hause an.
»Charles, geht es den anderen gut? Dann
kann es ja eigentlich keine Lebensmittelvergiftung gewesen sein. Nein, man hat
uns noch gar nichts gesagt. Ja, soweit ich weiß, ist sie noch — ich bin sicher,
man wird hier alles Menschenmögliche für sie tun. Nein, warten Sie nicht auf
mich. Ich habe meinen eigenen Schlüssel bei mir, und Mr. Bittersohn ist auch
hier.«
Sie legte wieder auf und ging zu ihm
zurück. »Zu Hause ist alles in Ordnung. Ich verstehe bloß nicht, warum es erst
so spät gewirkt hat, wenn es wirklich Gift war. Sie war doch schon zwei Stunden
bei uns, als ihr urplötzlich übel wurde. Sie hat dir doch hoffentlich nichts
von dem Wein angeboten?«
»Nein. Sie wollte nur einen Tee machen,
aber ich habe ihr gesagt, das sei nicht nötig.«
»Wie lange warst du in ihrem Atelier?«
»Etwa eine Stunde.«
»Und was hast du da getan?«
»Erzählt. Vielmehr zugehört, du kennst
ja Lydia.«
»Worüber hat sie denn geredet?«
Ȇber das Leben, die Liebe, die
Probleme einer kreativen Künstlerin, was weiß ich. Lydia war in einer
merkwürdigen Stimmung. Welches Thema ich auch ansprach — immer wich sie aus und
wurde kokett. Sie sagt, sie hat Nick Fieringer seit Jahren nicht gesehen, was
ich für eine Lüge halte. Sie hat auch behauptet, daß Palmerston immer noch
verrückt nach ihr ist, wobei ich verdammt gut weiß, daß es gelogen ist. Alles,
was ich aus ihr herausbekommen habe, ist, daß der Mann in ihrem Bett in der
besagten Nacht Bill Jones war, und das bedeutet nichts.«
»Warum nicht?«
»Weil Bill die halbe Zeit bei ihr
schläft, das sagt sie jedenfalls. Seine Kumpel nehmen ständig seine Bude für
irgend etwas in Beschlag. Wenn er müde ist und es zu spät ist, eine von seinen Freundinnen
zu stören, kommt er zu Lydia und kriecht bei ihr ins Bett. ›Ist aber rein
plutonisch‹, sagt sie.«
»Jede Wette! Max, sollten wir nicht in
ihr Atelier gehen und uns die Weinflasche schnappen, bevor es jemand anderes
tut?«
»Wenn es wirklich Gift war, was sich ja
nachweisen läßt, hat das sicher schon irgendjemand getan. Und wenn es kein Gift
war, warum
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