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Madam Wilkin's Palazzo

Madam Wilkin's Palazzo

Titel: Madam Wilkin's Palazzo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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Augen schweiften für einige
Augenblicke von Mrs. Sorpendes eindrucksvollen Kurven hinüber zur Gräfin, doch
sie war zu mager für seinen Geschmack, und so kehrte sein Blick bald wieder zu
seinem Ausgangspunkt zurück.
    Lydia Ouspenska war in absoluter
Hochform. Sie lachte schallend über jeden Witz, besonders wenn sie ihn selbst
gemacht hatte. Sie nahm sich großzügig von allem, was Charles reichte.
Plötzlich jedoch hielt sie die Hand vor den Mund und erhob sich schwankend.
    Charles hatte sie bereits aus dem
Eßzimmer geführt, bevor die anderen überhaupt begriffen hatten, was passiert
war. Sarah erhob sich, um ihr zu folgen, doch Mr. Porter-Smith war schneller.
»Wenn Sie erlauben, Mrs. Kelling, gehe ich. Ich habe den Fortgeschrittenenkurs
in Erster Hilfe besucht.«
    »Das ist sehr nett von Ihnen, vielen
Dank. Am besten bringen Sie die Gräfin in mein Schlafzimmer, wenn es geht. Und
sagen Sie bitte Mariposa Bescheid, falls Charles es noch nicht getan hat.«
    Da Sarah wußte, daß ihre tüchtigen
Angestellten die Sache schon in den Griff bekommen würden, versuchte sie,
weiter ihre Rolle als perfekte Gastgeberin zu spielen. Charles war rechtzeitig
wieder zurück, um den Nachtisch zu servieren. Er berichtete, daß es der Gräfin
bereits besser gehe, sie habe sich hingelegt, und Mariposa sei bei ihr. Aber
als die Gruppe zum Kaffee in die Bibliothek hinübergegangen war, hielt Sarah es
doch für besser, selbst nach oben zu laufen und nach dem Rechten zu sehen.
    Charles, Mariposa und
selbstverständlich auch der unerschütterliche Mr. Porter-Smith hatten die
Gräfin höchst effektiv ins Bett verfrachtet. Jemand hatte sogar daran gedacht,
die Tagesdecke zurückzuschlagen und ein sauberes Laken unter die Zudecke zu
legen, bevor man sie in das Federbett gepackt hatte. Das extravagante rote
Kleid lag ordentlich gefaltet über der Rückenlehne von Sarahs Sessel, die
Armreifen waren auf dem Nachttisch gestapelt, und die Goldsandalen standen
nebeneinander auf dem Bettvorleger. Lydia schlief nicht nur, sie schnarchte
auch laut.
    Sarah dachte an die höchst
ungewöhnlichen Eßgewohnheiten der Gräfin und nahm an, daß es sich
möglicherweise um eine kleine Magenverstimmung handelte. Ihr Verdauungstrakt
mußte einen Schock davongetragen haben, als sie ihm plötzlich eine vollständige
Mahlzeit zugemutet hatte. Sarah schloß die Tür und ging wieder nach unten, um
sich etwas beruhigter ihrem Kaffee widmen zu können.
    Ihre Pensionsgäste zeigten alle
schrecklich viel Verständnis für den kleinen Zwischenfall. Mrs. Sorpende
erzählte gerade eine rührende Geschichte, wie die arme Gräfin als kleines Kind
aus dem Winterpalast hatte fliehen müssen, gnadenlos gehetzt von wilden Wölfen
und Bolschewiken, und wie sie als zartes Kind arm und verlassen auf den Straßen
von Istanbul oder einer ähnlich exotischen Stadt aufgewachsen war und dort ihre
edelsteinbesetzten Ostereier verkaufen mußte, um sich Croissants und Brioches
kaufen zu können. Es war eine wirklich fesselnde Geschichte, und Sarah tat es
nur leid, daß die Gräfin sie nicht hören konnte. Trotzdem war sie erleichtert,
als Mrs. Sorpende die Erzählung beendet hatte und sie wieder nach oben gehen
und nach der Patientin sehen konnte. Sie war nicht besonders überrascht, als
Max Bittersohn sie begleitete.
    Lydia schien noch tiefer zu schlafen
als zuvor, denn ihr Atem kam nur stoßweise und gurgelnd. »Völlig weggetreten«,
sagte Max. »Bestimmt hat sie deinem Wein kräftig zugesprochen, als ich auf sie
gewartet habe, weil sie sich noch umziehen wollte.«
    »Wein?« fragte Sarah. »Ich habe doch
bloß Lebensmittel geschickt.«
    »Merkwürdig. Es stand aber eine Flasche
auf dem Tisch neben der Treppe. Ich habe natürlich angenommen — « Er beugte sich
über die schlafende Frau und sah plötzlich sehr besorgt aus.
    Sarah schielte unter seinem Ellbogen
durch. »Sie macht so merkwürdige Geräusche. Und unter der dicken Schicht
Make-up kann man ihre richtige Farbe überhaupt nicht erkennen. Kannst du bitte
das Töpfchen Cold Cream aus dem Badezimmer holen? Und ein Handtuch.«
    Sie versuchte, ihr den Puls zu fühlen,
doch Bittersohn war schon wieder mit der Cold Cream und ihrem besten
spitzenverzierten Gästehandtuch zurückgeeilt. »Hier«, Sarah hielt ihm das
leblose Handgelenk der Gräfin hin, »versuch du mal. Ich bin nicht besonders gut
im Pulsfühlen.« Sie schmierte Cold Cream auf die angemalten Wangen der Gräfin
und begann, das Make-up abzuwischen. Die Haut, die

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