Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
tranken den Garus. Hundertmal wollte Léon gehen; der andere aber hielt seinen Arm fest und rief:
»Gleich! ich komme. Dann gehen wir zum Fanal de Rouen , den Herrn einen Besuch abstatten. Ich stell Sie Thomassin vor.«
Zuletzt wurde er ihn doch los und rannte schnurstracks zum Hotel. Emma war fort.
Sie hatte sich eben aufgemacht, voll Erbitterung. Sie hasste ihn jetzt. Diesen Wortbruch beim Rendezvous empfand sie als Schmach, und sie suchte nach weiteren Gründen, sich von ihm zu lösen: er taugte nicht zum Helden, war schwach, gewöhnlich, schlaffer als eine Frau, knausrig obendrein und furchtsam.
Dann beruhigte sie sich und erkannte, dass sie ihn wohl zu Unrecht geschmäht hatte. Das Schlechtmachen eines Menschen, den wir immer noch lieben, löst uns freilich von ihm. Man soll Götzen nicht anfassen: das Gold bleibt an den Fingern kleben.
Sie sprachen nun öfter von Dingen, die nichts zu tun hatten mit ihrer Liebe; und in den Briefen, die Emma ihm schickte, war die Rede von Blumen, Versen, Mond und Sternen, naive Hilfsmittel einer erlahmten Leidenschaft, die sich mit äußeren Reizen anfachen will. In einem fort erwartete sie von der nächsten Reise tiefe Glückseligkeit; dann musste sie sich eingestehen, dass sie nichts Besonderes fühlte. Diese Enttäuschung verblasste rasch vor einer neuen Hoffnung, und Emma fuhr wieder zu ihm, noch feuriger, noch gieriger. Sie riss sich die Kleider vom Leib, fetzte das dünne Schnürband aus ihrem Mieder, das an den Hüften zischte wie eine schlängelnde Natter. Auf nackten Zehen ging sie noch einmal zur Tür und prüfte, ob der Schlüssel umgedreht war, dann warf sie mit einem Ruck alle Hüllen zu Boden; – und bleich, wortlos, ernst sank sie an seine Brust, durchrieselt von Schauder.
Und dennoch war auf dieser mit kalten Tropfen bedeckten Stirn, auf diesen stammelnden Lippen, in diesen verstörten Augen, in der Umschlingung dieser Arme etwas Radikales, Irres, Trostloses, und Léon hatte das Gefühl, es dränge sich unmerklich zwischen sie, als etwas Trennendes.
Er wagte nicht, ihr Fragen zu stellen; doch angesichts ihrer Erfahrenheit dachte er, sie habe wohl alle Prüfungen des Leids und der Lust schon erlebt. Was ihn früher bezauberte, schreckte ihn jetzt ein wenig. Überdies empörte ihn, dass sie jeden Tag stärker Besitz ergriff von seiner Person. Er missgönnte Emma diesen ständigen Sieg. Er wollte sich sogar zwingen, weniger an ihr zu hängen; dann aber, beim Knarren ihrer Stiefelchen, fühlte er sich feige, wie Säufer beim Anblick von hartem Schnaps.
Freilich, sie versäumte nie, ihn mit allen möglichen Aufmerksamkeiten zu überhäufen, von erlesenen Gaumenfreuden bis zu verführerischer Kleidung und sehnsuchtsvollem Blick. Sie brachte aus Yonville Rosen, in ihrem Busen, und warf sie ihm ins Gesicht, zeigte sich besorgt um seine Gesundheit, gab ihm Ratschläge für sein Verhalten; um ihn fester an sich zu binden und in der Hoffnung, vielleicht werde der Himmel eingreifen, legte sie ihm ein Amulett der Jungfrau Maria um den Hals. Sie erkundigte sich wie eine tugendsame Mutter nach seinen Freunden. Sie sagte:
»Triff sie besser nicht, geh nicht aus, denk nur an uns; liebe mich!«
Sie hätte gern sein Leben überwacht, und ihr kam der Gedanke, ihm auf der Straße nachspionieren zu lassen. Unweit des Hotels trieb sich eine Art Landstreicher herum, der die Reisenden anbettelte und gewiss nicht ablehnen würde … Doch ihr Stolz war stärker.
»Ach! meinetwegen! soll er mich betrügen, wen kümmert’s! liegt mir so viel an ihm?«
Eines Tages, als sie früh voneinander Abschied genommen hatten und sie allein über den Boulevard zurückging, erkannte sie die Mauern ihres Klosters; sie setzte sich auf eine Bank, im Schatten der Ulmen. Welche Ruhe in jener Zeit! wie lechzte sie nach den unsagbaren Liebesgefühlen, die sie sich ausmalte anhand von Büchern!
Die ersten Monate ihrer Ehe, ihre Ausritte in den Wald, der walzertanzende Vicomte und der singende Lagardy, alles zog an ihren Augen vorüber … Und Léon schien ihr plötzlich genauso fern wie die anderen.
»Aber ich liebe ihn doch!« sagte sie sich.
Gleichviel! sie war nicht glücklich, war es nie gewesen. Woher kam bloß diese Unzulänglichkeit des Lebens, dies jähe Vermodern von Dingen, an denen sie Halt suchte? … Doch wenn es irgendwo einen starken und schönen Menschen gab, einen kühnen Charakter, voller Überschwang und zugleich von feiner Lebensart, das Herz eines Dichters in Engelsgestalt,
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