Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Bovary. Zum Glück hatte er versprochen, die Vollmacht zu widerrufen …
»Was?«
»Ah! er hat’s mir geschworen«, beharrte die brave Frau.
Emma öffnete das Fenster, rief nach Charles, und der arme Kerl musste eingestehen, dass ihm die Mutter sein Wort abgerungen hatte.
Emma verschwand, kam schnell wieder und überreichte ihr hoheitsvoll ein großes Blatt Papier.
»Ich danke Ihnen«, sagte die alte Frau.
Und sie warf die Vollmacht ins Feuer.
Emma überkam ein Lachen, schrill, schallend, endlos: sie hatte einen Nervenanfall.
»Oh! mein Gott!« rief Charles. »Nein, das war nicht richtig von dir! kommst her und machst ihr Szenen! …«
Seine Mutter zuckte die Schultern und meinte, das sei doch bloß alles Getue .
Charles aber lehnte sich zum ersten Mal auf und verteidigte seine Frau, sodass die alte Madame Bovary abreisen wollte. Sie fuhr schon am nächsten Tag, und auf der Türschwelle, als er sie umzustimmen suchte, antwortete sie:
»Nein, nein! Du liebst sie mehr als mich, und du hast recht, das ist nun mal so. Außerdem, was soll’s! du wirst schon sehen! … Bleib gesund! … ich komm so schnell nicht her, wie du sagst, und mach ihr Szenen.«
Charles war Emma gegenüber dennoch sehr betreten, sie verhehlte kein bisschen, dass sie ihm grollte wegen seines mangelnden Vertrauens; viel Bitten war vonnöten, bevor sie einwilligte, sich wieder eine Vollmacht geben zu lassen, und er ging mit ihr sogar zu Monsieur Guillaumin, damit dieser eine zweite, gleichlautende ausstellte.
»Das verstehe ich«, sagte der Notar; »ein Mann der Wissenschaft kann sich nicht die praktischen Dinge des Lebens aufbürden.«
Und Charles fühlte sich erleichtert durch diese scheinheilige Bemerkung, denn sie gab seiner Schwäche den schmeichelhaften Anstrich wichtigerer Sorgen.
Was für ein Überschwang, am folgenden Donnerstag, im Hotel, in ihrem Zimmer, mit Léon! Sie lachte, weinte, sang, tanzte, ließ Sorbets heraufbringen, wollte Zigaretten rauchen, sie dünkte ihn überspannt, doch hinreißend, prachtvoll.
Er wusste nicht, welcher Prozess in ihrem ganzen Wesen sie immer weiter dazu trieb, sich auf die Genüsse des Lebens zu stürzen. Sie wurde reizbar, gefräßig und lüstern; und sie spazierte mit ihm durch die Straßen, erhobenen Hauptes, ohne Angst, sagte sie, sich zu kompromittieren. Manchmal freilich schauderte es Emma bei dem jähen Gedanken, Rodolphe zu begegnen; obwohl sie für immer voneinander getrennt waren, schien ihr dennoch, sie habe sich aus der Abhängigkeit von ihm nie vollkommen befreit.
Eines Abends kehrte sie nicht heim nach Yonville. Charles verlor den Kopf, und die kleine Berthe, die ohne ihre Mama keinesfalls ins Bett wollte, schluchzte zum Steinerweichen. Justin war planlos auf die Landstraße gelaufen. Homais hatte seine Apotheke verlassen.
Endlich, gegen elf, als er es nicht länger aushielt, richtete Charles seinen Boc, sprang hinein, gab seinem Tier die Peitsche und erreichte morgens um zwei die Croix rouge . Niemand. Er dachte, der Kanzlist habe sie vielleicht gesehen; wo aber logierte der? Charles erinnerte sich zum Glück an die Adresse seines Chefs. Er eilte hin.
Der Tag begann zu grauen. Er konnte Schilder über einer Tür erkennen; er klopfte. Ohne zu öffnen, schrie jemand die verlangte Auskunft, garniert mit Flüchen auf nächtliche Ruhestörer.
Das Haus, in dem der Kanzlist wohnte, hatte weder Klingel noch Türklopfer, noch Portier. Charles hämmerte mit den Fäusten gegen die Fensterläden. Ein Polizist kam des Weges; da wurde ihm bange, und er ging.
»Ich bin verrückt«, sagte er sich; »gewiss hat Monsieur Lormeaux sie zum Abendessen dabehalten.«
Die Familie Lormeaux wohnte nicht mehr in Rouen.
»Sie könnte hiergeblieben sein und Madame Dubreuil pflegen. Nein! Madame Dubreuil ist schon zehn Monate tot! … Wo steckt sie bloß?«
Ihm kam eine Idee. Er bat in einem Kaffeehaus um das Adressbuch ; und suchte rasch den Namen von Mademoiselle Lempereur, sie logierte in der Rue de la Renelle-des-Maroquiniers Nr. 74.
Als er in die Straße einbog, erschien Emma selber am anderen Ende; er umarmte sie nicht, stürzte sich förmlich auf sie und rief:
»Was hat dich gestern aufgehalten?«
»Ich war krank.«
»Und was hattest du? Wo? … Wie denn? …«
Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn und erwiderte:
»Bei Mademoiselle Lempereur.«
»Ich hab’s geahnt! Eben wollte ich zu ihr.«
»Oh! das ist nicht nötig«, sagte Emma. »Sie hat gerade das Haus verlassen; doch in
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